von Ümit Mares
„Eines Tages kehren wir zurück in unsere Heimat!“ bekam ich oft von meinen Eltern zu hören. Wir leben in „gurbet“ sagten sie, was so viel heißt wie: “Wir leben in stetigem Heimweh, weit weg von unserer Heimat!“ Wir waren eine Gastarbeiterfamilie und Gäste können ja nicht für immer bleiben oder doch?
Obwohl ich sehr gerne meine Sommerferien in der Türkei verbrachte und die unbeschwerte Leichtigkeit, die zum Teil chaotische Lebensweise meiner Verwandten liebte, löste dieses Heimkehrszenario Unbehagen in mir aus.
„Wo ist nun meine Heimat? Bin ich Österreicherin oder bin ich Türkin?“ fragte ich mich immer wieder! Hätte ich mich in Österreich überhaupt beheimatet fühlen können, wenn sogar in meinem Reisepass unter Tätigkeit „Gastarbeiterkind“ stand? Bei meinen Freunden war „Schüler oder Schülerin“ zu lesen, aber ich war das Gastarbeiterkind!
Um „unser Heimweh“ zu lindern, fuhren wir jedes Jahr mit dem Auto in das 3500km entfernte Kayseri, die Heimatstadt meiner Eltern. Die Reise war für mich als Kind eine Tortur, weil sich die dreitägige Anreise wie eine Ewigkeit anfühlte!
Die erste Station war meine Tante Serife, die jüngere Schwester meiner Mutter, da sie die größte Wohnung hatte. Bei meiner Tante trafen alle Gastarbeiter aus unserer Familie ein und die ganze Wohnung verwandelte sich in ein einziges Matratzenlager. Es wurde die ganze Nacht Geschichten erzählt, geredet und viel gelacht. Es wurde gemeinsam gekocht, auf dem Boden gegessen und weitere Familienmitglieder besucht. Ich habe es geliebt! Dieser kollektive Zusammenhalt und unkonventionelle Umgang miteinander faszinierte mich.
Als Teenager merkte ich aber, dass von jungen Mädchen und Frauen erwartet wurde, auf den guten Ruf zu achten und unbedingt jungfräulich in die Ehe zu gehen. Meine erste große Liebe, meinen ersten Kuss erlebte ich in der Türkei, aber dies geschah alles heimlich, denn sonst wäre ich für den Heiratsmarkt nicht mehr interessant gewesen. Auf meinen guten Ruf habe ich letztendlich gepfiffen und mein Leben nach meinen Vorstellungen gelebt, aber das ist eine andere Geschichte :-) …
Anfang Zwanzig fand ich endlich die Antwort auf meine Fragen und habe aus dem „entweder-oder“ ein „sowohl als auch“gemacht. Ich bin eine Wienerin mit türkischen Wurzeln, beides gehört zu mir und das ist gut so!
In Wien sind meine beiden Wurzeln heute noch immer wieder ein Thema. Gefühlte zig tausendmal wurde und werde ich gefragt, woher ich denn komme. Wenn ich „Wien“ antworte, reicht es nicht und es folgt die nächste Frage: „Ja eh, aber woher kommst du wirklich?“
Wenn ihr vermutet, dass jemand einen Migrationshintergrund haben könnte und ihr neugierig seid, dann fragt doch bitte: „Woher kommt Dein Name?“ oder „Welche Sprachen sprichst Du?“ denn so kann Euer Gegenüber selbst entscheiden, wie er oder sie sich definieren möchte. Zugehörigkeitsgefühl kann nur wachsen, wenn wir Vielfalt als Teil des Ganzen sehen und Migration ist eines davon.
© Ümit Mares 2019-08-20