von Melanie Köchli
Ich bin ein freundliches Lächeln und höfliche Worte. So kann ich niemanden verletzen. So kann mir niemand zu nahetreten. Ein bewusst gewahrter Abstand zwischen mir und der Welt. Die Maske der Freundlichkeit ist ein Mittel, mit dem ich erreiche, was ich will. Aber sie ist auch eine Waffe gegen gemeine Worte und böse Menschen. Lächelnd nehme ich Kritik entgegen und höflich bedanke ich mich bei unfreundlichen Leuten. Ich trage einen Schutzwall zwischen mir und dem Bösen.
Ich bin Fleisch und Blut, geformt von meinen Genen, kreiert von meinen Eltern. Ich bin weich und verletzlich. Diese Seite zeige ich aber nur meinen Liebsten, denn ich will nicht als schwach betrachtet werden. Nur starke Menschen überleben in dieser Welt. Schwache Menschen gehen unter. Sie können sich nicht über Wasser halten und ertrinken. Schwäche ist nicht akzeptiert in dieser Welt. Und doch glaube ich, dass wir alle schwach sind. Niemand ist stark genug, um allein zu überleben.
Ich bin Neugierde und Ruhe. Zwei Eigenschaften, die immer von mir verlangt werden. Sei neugierig genug um nicht starr zu werden, aber lass die Neugierde nicht übersprudeln. Sei ruhig in deinem Wissensdurst, denn niemand will ein Besserwisser. Ich trage auch diese Maske vor anderen Menschen, denn sie schützt mich davor, als ignorant abgestempelt zu werden. Ruhig lasse ich Sprüche über meinen Körper über mich ergehen. Neugierig beobachte ich andere Menschen. Es ist eine Wand zwischen mir und der Realität.
Ich bin Knochen und Muskeln. Ich kann brechen und auseinanderreißen. Aber ich bin auch das Gerüst, dass mich zusammenhält. Ich bin hart im Nehmen. Gehe ich dennoch kaputt, lässt sich das meiste reparieren. Die psychologischen Wunden lassen sich nicht so einfach behandeln. Sie bleiben und erinnern mich daran, was ich schon alles erlebt und überlebt habe. Mein Gehirn ist zwar weich, aber wohl am härtesten im Nehmen. Ich gebe nicht auf, denn dann habe ich verloren und wir alle wollen gewinnen.
Ich bin Angst und Mut. Zwei Emotionen, die es ohne die andere nicht geben könnte. Ich habe Angst vor der Zukunft und bin dennoch mutig genug, mich Kopf voran hineinzustürzen. Die Angst hält mich auf dem Boden und sorgt dafür, dass ich nicht übermütig werde. Sie ist eine meiner innersten Emotionen. Kaum jemand kriegt sie zu sehen. Und doch macht sie mich aus. Denn ohne Angst müsste ich nie etwas überwinden. Sie gibt mir Mut und lässt mich wissen, dass ich verletzt werden kann. Aber sie zeigt mir auch, dass ich Dinge probieren muss, um voranzukommen.
Ich bin viele Facetten und Blickwinkel. Ich bin ein weißes Stück Papier, dass jeder beschreiben kann, wie er will. Aber was schreibe ich auf mein eigenes Papier? Was ist meine Antwort auf die Frage: „Wer bin ich wirklich?“ Für mich gibt es nur eine korrekte Antwort: „Ich bin alles und auch nichts. Ich bin ich.“
© Melanie Köchli 2023-06-30