Ich bin nicht Alexander der Große

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Nein, bin ich nicht, will ich nicht sein und nicht werden. Kann ich auch gar nicht, weil…der konnte nicht schwimmen. Ich kanns.

Und er hatte keine Geduld, alles musste ratzfatz geschehen. Klaubte seine Mannen zusammen, fragte, ob sie Zeit hätten: “Fällt euch die Decke auf den Kopf? Na, dann kommt: Wir machen ein paar Eroberungen!” Und weil Eroberungen immer Abenteuer und Geld bedeuteten, dachten sie: ”Kann man ja mal machen“. Wären sicher ins Grübeln gekommen, hätten sie geahnt, welche Länder er mit ihnen abklappern wollte und wie lange. Trotzdem war alles besser als Ziegen hüten

Erst ein wenig nordwärts, später nach Süden, dann nach Osten – durch wer weiß viel Länder (hätte er schwimmen können, hätte er als erster die Erde als Kugel wahrgenommen – konnte er aber nicht, ging im Fluss beim Haarewaschen unter. Das war’s dann mit seinen Eroberungen)

Hielt sich auch nie lange auf: kurz rein, Stadt gegründet, Alessandria genannt und wieder raus. Manchmal blieb er nur länger, wenn es zu wenig Gold im Lande gab. Dann organisierte er für seine Leute Massenhochzeiten, um sie bei Laune zu halten

Eben ein umtriebiger junger Mann – mit 20 ist die Jugend bekanntlich ungeduldig. Nie lange fackeln

Da war noch der Gordische Knoten – wer den aufknüppern konnte, der sollte Macht über das damalige Weltreich erlangen – so das Orakel. Er kannte das Wort “knüppern” wohl nicht – oder wusste nicht dessen Bedeutung – „Durchschlagen ist das einzig Wahre!“ sagte er sich und hieb den Knoten durch.

Damit war der Drops gelutscht

Ich will jetzt den Weihnachtsbaum schmücken. Alles liegt bereit: Engel, Sterne und Kugeln einschließlich der Gurke (wer sie als erster am Baum entdeckt, darf seine Geschenke auch zuerst auspacken – weshalb der Baum immer wieder fast ins Parkett genagelt werden muss, um ihn wegen des Ansturms standsicher zu machen).

Nun noch Lichterketten! Echte Kerzen sind tabu, seit bei meinen Eltern ein windschief geratener Baum der Gravitation folgte, die brennenden Kerzen ignorierte, in Flammen aufging und nur gelöscht werden konnte, weil noch genug Kaffee in der Kanne war.)

Also Lichterketten aus dem Karton, in dem sie vor 11 Monaten versenkt worden waren. Warum hat man beim Entzaubern des Baumes es immer so eilig? Jedes Jahr ist die Kette – verwurschtelt abgenommen – ein Gemisch aus Fassungen, Birnchen und Drähten.

Jedes Jahr: Entwirrung des Knäuels unter Zuhilfenahme von ein (oder zwei) Glas Rotwein und einer Weihnachts-CD.

Nach dem vierten Glas Rotwein und der 3. CD habe ich endlich den Anfang gefunden, versuche durch Entknoten und Hin- und Herschieben das elektrische Gedärm zu sichten und während in der Hand nach und nach die Fassungen sichtbar werden, vermischt das Kabel auf dem Fußboden sich erneut

Die Kette muss ein Eigenleben haben.

Soll ich bis Heiligabend weiter “entknüppern”?

Doch brennende Kerzen?

Die alte Kette entsorgen und eine neue aus dem Baumarkt?

Bevor ich an die 3. Flasche Rotwein gehe – bin ich ganz kurz Alexander der Große.

© Heinz-Dieter Brandt 2020-12-23

Hashtags