von Sonja M. Winkler
Ich bin eine Allesverwerterin.
Kaum hab‘ ich dieses Wort in die Tasten gedrückt, geb‘ ich es aufs Geratewohl in Google ein, denn das Österreichische Wörterbuch verzeichnet nur Alleskleber, Alleskönner und Alleswisser, und prompt komm‘ ich zu einem Verein für sozial Benachteiligte, der diesen Namen trägt, nur ungegendert: Allesverwerter.
In der Lebensphase, in der ich viele Briefe schrieb, habe ich, um Porto zu sparen, zu allerhand Tricks gegriffen. Wenn Schreiben von Behörden und Ämtern eintrudelten, auf denen keine Marke klebte, sondern bloß der Eingangsstempel prangte, öffnete ich vorsichtig den Umschlag, immer in der Absicht, ihn weiterzuverwenden und ihn noch am selben oder spätestens am nächsten Tag an einen anderen Bestimmungsort auf die Reise zu schicken.
Mit Kuverts, die ein Sichtfenster haben, verfuhr ich so: Ich unterlegte es mit einer neuen Adresse, fein säuberlich getippt. Bei Kuverts ohne Sichtfenster überklebte ich die alte Adresse mit der auf Etikette getippten neuen. Mein Schwindel ist nie jemandem aufgefallen.
So habe ich Porto gespart. Die Gebühr fürs Überbringen der Briefe nicht entrichtet. Kein Postwertzeichen mit der Zunge befeuchtet. Frankieren heißt freimachen. Frank und frei. Ich war unbekümmert, damals.
In den späten 1980er-Jahren ging ich dazu über, meine Briefe zwar mit einer Marke zu versehen, doch jetzt sparte ich woanders, beim Kauf von Kuverts. Ich bastelte sie selber.
Ich war eine junge Lektorin, nicht viel älter als die Studierenden, die ich unterrichtete, Ende 20 vielleicht. Wenn eine Prüfungsarbeit geschrieben wurde, vertrieb ich mir die Zeit mit Bastelarbeiten. Ich sehe mich noch heute vorn im Hörsaal stehen. In der Mitte der drei zusammengeschobenen Tische gab’s ein Rednerpult, abgeschrägt mit einer Leiste als Abschluss, damit das Skriptum nicht wegrutscht. Die Studierenden brüteten über den Angabezetteln, so machte auch ich mich ans Werk.
Vorsorglich hatte ich ein paar Illustrierte dabei, Lineal, Schere, Uhu. Ich wusste, was die Standardmaße eines Kuverts mit Nassklebung sind (114 x 162 mm). Ich hatte eine Schablone aus Karton ausgeschnitten.
Beim Durchblättern der Zeitschriften fielen mir die passenden Motive für die Briefumschläge nur so in die Hände. Das Schnipseln und Kleben machte mir großen Spaß, und im Nu hatte ich einen Schwung bunter Kuverts beisammen. Meine kreativen Erzeugnisse sorgten immer für Schmunzeln und wurden geschätzt.
Später verwendete ich solche Kuverts als Schreibanimation im Deutsch-Unterricht. Ich steckte ein paar Wörter hinein, die ich aus Zeitungen ausgeschnitten hatte. Die Schüler*innen wählten einen Umschlag nach ihrem Geschmack, und los ging’s. So entstanden die schönsten freien Texte.
Irgendwann fand auch diese Marotte ein Ende und wurde ersetzt durch eine neue. Jedenfalls bin und bleibe ich ein Fan von Upcycling. Momentan flechte ich Körbchen aus Zeitungspapier.
© Sonja M. Winkler 2022-01-20