Ich bleibe im Garten

Alexandra Edlinger

von Alexandra Edlinger

Story

Opa schenkt mir Limonade ein. Es ist die, die er immer selbst macht: Holunderblüten, Zitrone und Orange, süß, aber doch erfrischend. Wir sitzen auf unserem Platz: der kleine Tisch mit den zwei Stühlen, Eisen, grün lackiert, abgesplittert. Ein frisch geharkter Weg führt hierher, den Rücken geschützt von Büschen und Sträuchern, dahinter rauschen die Blätter einer Birke silbrig auf weißem Stamm. Die Namen der Pflanzen, wie ein Gedicht über die Namen vergessener Elfen; Akazie, Goldregen, Jasmin, Apfeldorn, Magnolie und Silberstrauch. Wörter, die ich mir als Kind auf der Zunge zergehen ließ und in die Münder meiner Fantasiewelten legte. Geborgenheit in der Abendsonne. Blüten, an denen ich roch, Zweige, die ich sammelte und Blätter, die ich sortierte. “Wann hast du das alles gepflanzt, Opa?” Die Sonne blendet ihn, er schließt die Augen, ein Abendhauch legt sich kühl um uns, aber die Sonne vertreibt ihn noch, noch haben wir ein bisschen Zeit. Er stopft die Pfeife. Früher hat er sie oft geraucht, immer wieder neu angezündet und der Duft des Pfeifentabaks gehörte für mich zum Garten wie der von feuchtem Gras und trockener Erde. “Damals”, sagt er, die Augen noch geschlossen, ein Lächeln um die Lippen. “Und wer pflegt ihn jetzt, deinen Garten?” Ich sehe ihn an, will mir jede Falte in seinem Gesicht, jeden Bartstoppel, jedes graue Haar seiner buschigen Augenbrauen einprägen, speichern, nur für mich. Er nickt in die Ferne. Was er wohl sieht, wenn er die Augen geschlossen hat? “Was gut gepflanzt ist, um das brauche ich mich nicht mehr kümmern, das kann man getrost sich selbst überlassen.” Ich trinke von meiner Limonade aus dem Gartenglas, das schon fast trüb geworden ist, so oft wurde es verwendet; nur mehr für den Garten, zu schade für den Hausgebrauch, kostbar für mich, für uns. Der Geschmack füllt meinen Mund und bleibt dort. Er vergeht nicht. Nie. Wir stehen auf, gehen ein paar Schritte, den frisch geharkten Weg, sehen uns den Garten an, riechen an den Knospen, die im nächsten Strauch schon in Blüte stehen und beim übernächsten in bunten Blättern welk und frisch am Boden liegen. Ich versuche sie mit meinem Fuß zu zerstreuen, der Wind trägt sie fort. Wir kommen zum Tor. Es ist doch nur eine unscheinbare Tür, aber sie grüßt und verabschiedet quietschend jeden Besucher. “Hier bleibe ich zurück”, sagt er und lächelt mir aufmunternd zu. Ich sehe ihn fragend an. Wie soll ich weitergehen ohne ihn? “Einfach einen Fuß vor den anderen,” antwortet er auf meine Gedanken und zieht an seiner Pfeife. Und da sehe ich ihn an. Wie kann er mein Opa sein und neben mir stehen und mir in die Augen sehen? Das letzte Mal als ich mit ihm an der Tür stand, musste ich zu ihm aufblicken, strich er mir liebevoll übers Haar. Er sieht aus wie damals, aber ich bin eine erwachsene Frau. Plötzlich will ich ihn umarmen, aber ich kann ihn nicht erreichen. “Noch zwitschern die Vögel, aber bald schlafen auch sie”, sagt er. “Hab keine Angst. Ich bleibe im Garten, das ist mein Paradies.”

© Alexandra Edlinger 2021-03-23

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