von Johanna Grüneis
-genau das waren die Worte, die ich meinem Vater mutig zurief, kurz bevor ich aus unserem Garten auf die Straße stieg. „Was?!“, war die Antwort, die ich von meinem Vater bekam. Mit einem leicht verwirrten Blick im Gesicht starrte er mich, hinter seinem Fahrrad hockend, an. „Ich geh mir jetzt ein Tattoo stechen“, wiederholte ich und verschwand auf der Straße, ohne auf eine Antwort zu warten.
Mein Vater hasst Tattoos. „Nur Prostituierte und Knasties haben welche“, erklärte er mir immer, wenn ich mal wieder von der Kunst unter der Haut schwärmte. Heute sagt er das nicht mehr, oder sonst irgendetwas gegen Tattoos. Jetzt, wo seine eigene Tochter zu dieser Gruppe von Menschen mit Verzierungen unter der Haut gehört, herrscht Stillschweigen darüber.
Seit knapp einem Jahr habe ich nun Tattoos, klein und fein, aber mit Bedeutung. Einen Notenschlüssel auf meinem Ringfinger sowie ein kleines Herz auf meinem Handgelenk. Einfach, klein, offen gezeigt und doch versteckt. Bisschen Basic würden vielleicht einige meinen, aber das ist auch ok.
Die einzelnen Reaktionen zu ihnen waren auch sehr unterschiedlich:
Meine Mutter, mein Freund und mein Bruder sind das Gegenteil meines Vaters, sie waren vielleicht nicht begeistert, aber sehr interessiert. Von wie der Vorgang war, ob es weh tat, wie es sich generell anfühlt und was die Motive für mich bedeuten, wurde ich gefragt. Mein Vater hingegen redete den restlichen Abend danach nicht mehr mit mir und lässt seitdem ein großes Schweigen über das Thema Körperkunst.
Ein Jahr später, aber dann die beste Reaktion. Die meiner Oma. Ich habe es meinen Großmüttern nicht erzählt und bemerkt hatten sie es bis zu diesem Zeitpunkt anscheinend auch noch nicht bzw. halten sie Stillschweigen darüber. Bis letzte Woche, wobei das Thema eher unabsichtlich zur Sprache kam: Ich besuchte meine Oma, kurz nach dem Familienessen an Allerheiligen. Sie sah mich ernst an und meinte dann vorsichtig: „Johanna, hast du da am Hals ein Tattoo? Ich glaub, ich hab da was gestern beim Essen gesehen. Ich wollte aber nicht vor der ganzen Familie fragen, vielleicht ist es ja noch ein Geheimnis.“ Verdutzt schaute ich sie an. „Nein, muss wohl Schatten oder vielleicht Dreck gewesen sein. Am Hals habe ich kein Tattoo.“ Wir kamen daraufhin ins Gespräch über Tattoos und Körperkunst. Ich habe ihr auch meine beiden kleinen Tattoos gezeigt. Ihre Reaktion: „Na sowas is ja noch schön und zierlich, aber wenn ich so Menschen seh, mit einem blauen Fleck am Unterarm. Das ist scho schiach.“
Ich meinte nur: “Kunst liegt im Auge des Betrachters. Es muss nur jenen gefallen, die es tragen.“
© Johanna Grüneis 2021-11-08