Ich glaub mich ritt das Pferd

Herbert Schieber

von Herbert Schieber

Story

Unsere Tochter war im Pflichtschulalter extrem pferdenärrisch. Irgendwann gaben wir dem ständigen Drängen nach und sie durfte Reitstunden nehmen. Anfangs war sie sehr vorsichtig, besser gesagt sehr ängstlich. Zum Glück hatte sie eine einfühlsame Reitlehrerin, und sie hatte mich, ihren ‚Mentalcouch‘. „Stell dich doch nicht so an… was soll schon passieren… da hat es schon ganz andere heruntergeschleudert.“ Ich dachte damals nicht über offensichtliches Verbesserungspotential meiner Mentalcoach-Fähigkeiten nach, bis zum Tag meiner Erleuchtung!

Eine Mitarbeiterin aus unserem Büro, ebenfalls eine Pferdenärrin, hatte für eine Firmentagung ein Rahmenprogramm organisiert. Reiten! Dort angekommen war die erste Frage: „Wer hat Reiterfahrung?“ Neun meiner Kollegen zeigten auf. Nur bei meinem steirischen Kollegen und mir blieb die Hand unten.

Jetzt ab zu den Pferden. Aus ihren Ställen schauten Beauty, Cindy, Schwanensee, Fury… . Doch ein Pferd stand alleine neben den Ställen… „AMBASADOR“. Mit einer Schulterhöhe von rund zwei Meter passte dieser Gigant in keinen Normstall. Keiner von uns hatte jemals zuvor so ein mächtiges Ross gesehen.

Es ging los. Die reiterfahrenen Kollegen bekamen je ein gesatteltes Pferd zugeteilt, gingen damit in die Reithalle, schwangen sich hinauf und ab ging die Post. Jetzt waren wir, die beiden Neulinge an der Reihe. Es waren nur noch die Haflingerstute Schecki und dieses Monsterross übrig. Na gut, dachten wir, wir teilen uns diese liebenswerte Haflingerdame. Falsch gedacht! Mein Kollege bekam Schecki und ich Ambassador! Die Reitlehrerin führte die Pferde und uns in die Halle. Sie half zuerst meinem Kollegen in den Sattel, dann verschwand sie, um kurz darauf mit einer Leiter wieder zu erscheinen. Diese stellte sie neben Ambassador auf. „Aufsteigen!“ Ich kletterte hinauf und hantelte mich ängstlich hinüber auf den Sattel. Geschafft! Unter mir ein extrem mächtiger Körper. Vorne ragte der Hals hinaus. Dieser sah aber von oben aus wie… wie… wie ein Nichts. Der Gedanke, dass wenn dieser Koloss anhält ich nach vorne ins Leere falle, machte mir Angst! Ich dachte unweigerlich an meine Tochter. Auf ging’s. Unsere Reitlehrerin lies die Pferde nur im Schritt gehen. „Schön am Sattel festhalten!“ Ich fühlte mich hilflos, wie in einer Jolle vom Neusiedler See mitten im stürmischen Pazifik. Die weißen Fingerkuppen vom Festklammern und der kalte Schweiß auf meiner Stirn, waren Spiegel meiner Verzweiflung und Furcht.

Nach endlos scheinenden zehn Minuten war es geschafft. „Absteigen!“ Ich hob das rechte Bein über den Hinterteil und glitt seitlich am Sattel hinunter. Durch die enorme Höhe fiel ich ins Leere. Ich knallte mit dem Rücken auf den Hallenboden. Großes Gelächter meiner Kollegen… das war’s!

„Ob ich nochmal geritten bin? Nein, nie wieder!“ Heute schaue ich meiner erst fünfjährigen Enkeltochter beim Reiten zu und beiße mit Genuss in meine spezielle Leberkässemmel.

© Herbert Schieber 2019-10-22

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