Ich glaube an Vielfalt

Jutta Kröpfl

von Jutta Kröpfl

Story

Ich glaube an die Vielfalt. Ich glaube daran, dass niemand „normal“ ist, daran, dass es unmöglich ist, den einen Menschen zu finden, der in allen Punkten einem Durchschnitt entspricht. Weil Perfektion im Unperfekten liegt, weil es die Individualität ist, die uns ausmacht.
Auch der Glaube ist vielfältig. Individuell. Darum habe ich eine Vielzahl individueller Menschen aus meinem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis gefragt, woran sie glauben.

Viele Antworten bekam ich prompt. Andere brauchten eine kleine Bedenkzeit, manche ein wenig mehr.
Die einen waren kurz, klar, bestimmt: die Liebe, Gott, Freundschaft, Wunder. Oder Kaffee. Man glaubt an das Gute auf der Welt und/oder im Menschen. Mit einzelnen augenzwinkernden Einschränkungen. Das Nervenkostüm, na klar … Wie sagte es meine Jüngste kurz nach ihrem vierten Geburtstag aus voller Überzeugung? – „Mama, niemand kann doch immer brav sein!“
Die nächsten Reaktionen zielten tiefer, ließen mich nachdenken, nachhaken, stießen einen Austausch an, ein Miteinander. Noch einmal über das vermeintlich Gute. Und über Enttäuschung. Ferner fielen Sätze wie diese: „Ich glaube an die positive Energie um uns herum.“ „Ich glaube an Zufälle, die das Leben verändern, und an Misserfolge, die uns zum Aufstehen zwingen.“ „Ich glaube an das Überwinden von Selbstzweifeln.“ „Ich glaube an meinen Optimismus und die positive Lebenseinstellung.“ „Ich glaube an die Macht der Gedanken, seien sie noch so leise, klein und scheinbar unbedeutend.“
Besonders berührt hat mich der Satz meines Hochphase-Pubertiers. Der in sich lauschte und dann den Wert von Familie anbrachte. – Und ja, ich glaube auch an Momente!

„Woran soll ich (noch) glauben?“ Schließlich bleiben die Skeptiker. Inbrünstig der/die eine, leise der/die andere.
Oder die, die vor allem auf sich selbst zählen. Ich weiß nicht, ob sie zu beneiden sind.
„Ich glaube nicht, ich vermute nur.“ Auf diesen Satz hin durfte ich eine Diskussion führen. (Oder zwei, denn manche Ansätze haben mich im Kopf noch später begleitet.) Was bedeutet glauben? Wer definiert das Wort? Wie? Ab wann wird eine Vermutung zur Überzeugung? Welche Rolle spielt die Zeit? Was glaube ich von heute auf morgen, was auf ein Jahr, auf ein Leben? Wie weit möchte ich gehen? Wie viele andere überzeugen? Und wie weit ist das vertretbar, wo liegt die Grenze zwischen Begeisterung und Fanatismus?
Ich mag es, wenn eine kleine Frage zur Inspiration wird, wenn eine Idee Kreise zieht wie ein ins Wasser geworfener Stein. Ich mag es, wenn viele Gedanken zusammenkommen, jeder einzelne sein darf – wertungsfrei – und ein regenbogenbuntes Bild entsteht. So schreibe ich ein dankbares Hoch auf dieses meinungsfreiheitliche Glaubenskaleidoskop.

Ich glaube an die Vielfalt. Und weil Glaube für mich auch viel mit Hoffnung zu tun hat – denn sind es nicht häufig Verzweiflung oder verlorenes Vertrauen, die uns nach überirdischen Erklärungen suchen lassen? -, hoffe ich, dass sich dieser Gedanke irgendwann tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Dass irgendwann jeder Mensch sein kann, wie sie/er ist. Ohne Angst und ohne Zweifel. Für eine bunte Welt voll Achtsamkeit, Respekt und Toleranz.

© Jutta Kröpfl 2025-05-29

Genres
Anthologien
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll