Ich hab‘ auch noch nicht gegessen.

Yvonne Heinrich

von Yvonne Heinrich

Story

Nein, ich war auch noch nicht duschen,
hab‘ noch nichts gegessen,
bin bis jetzt nur hier beim Abendtisch gesessen und hab‘ gewartet.
Darauf, dass du von einem anstrengenden Tag nach Hause kommst.
War extra noch nicht im Bad,
damit das warme Wasser ganz dir und deinen schmerzenden Muskeln gehört.
Nein, ich bin noch keine Sekunde vorher gesessen und nein, für mich gab es auch kein warmes Mittagessen.
Mein Tag startete früh und umfasste die Fürsorge für alle anderen, nur nicht für mich.
Das kranke Huhn, das gepflegt werden muss, denn den einfachen Weg, den gehe ich nicht.
Dann ging es weiter mit den Senioren-Hunden, die nach all den Jahren, die sie auf ihrem Buckel tragen, auch andere Bedürfnisse haben, als sie junge Hunde pflegen.
Dann schnell den Kaffee kippen, für mehr ist keine Zeit, bevor es in der Arbeit mit bezahlter Fürsorge weitergeht.
Dort höre ich tausendmal meinen Namen, verarzte Schrammen und gebrochene Herzen, während ich versuche, diese Geschöpfe aufs Leben vorzubereiten und ihnen die Fürsorge zu geben, die sie zuhause oft nicht bekommen zu scheinen. Und nachdem der ganze Tag bisher auf andere ausgerichtet war, nicht einmal eine Pause für den Toilettengang und die Jause war – beides geht sich nie aus – mache ich mich auf den Weg nach Hause.
Meistens mit Arbeit im Gepäck.
Dort bleibe ich mit dem Auto vor der Einfahrt stehen, sollst du doch nicht mit deinem neueren Auto auf der Straße stehen und schleppe ein Sackerl nach dem anderen ins Haus, gehe den weiteren Weg gerne – dir zuliebe.
Dann geht es meist weiter mit dem Haushalt: Wäsche, Geschirr, man kennt es. Und dann zu dem Getier, dem kranken; aber auch dem gesunden, müssen Tiere doch auch gehegt und gepflegt werden; brauchen Liebe, damit sie wachsen und gedeihen können.
Vielleicht geht sich dann der gekippte zweite Kaffee aus, meistens ist man dann schon müde.
Aber man hat sich doch vorgenommen, mehr zu kochen, erwachsener zu sein. Also deckt man den Tisch, während man sich etwas fürs Abendessen überlegt, dreht noch eine Spazierrunde, denn egal, ob die Hunde alt sind, der Spaziergang ist ihnen wichtig, und mir sogar auch.
Gedeckt ist der Tisch, das Abendessen wartet, das kranke Huhn wurde in der Zwischenzeit in sein Nest gebettet, die gesunden dazu – damit der Marder sie nicht holen kommt. Die Alten haben ihr Futter und ihre Medizin bekommen, schlafen nun endlich.
Und ich warte, auf dich.
Nein, ich war auch noch nicht duschen,
hab‘ noch nichts gegessen,
bin bis jetzt nur hier beim Abendtisch gesessen und hab‘ gewartet.
Darauf, dass du von einem anstrengenden Tag nach Hause kommst.
War extra noch nicht im Bad,
damit das warme Wasser ganz dir und deinen schmerzenden Muskeln gehört.
Nein, ich bin noch keine Sekunde vorher gesessen und nein, für mich gab es auch kein warmes Mittagessen.
Und von dir nun auch keinen Kuss.

© Yvonne Heinrich 2025-05-26

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig, Angespannt
Hashtags