Ich hab meine Schuh in Heidelberg verloren…

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story
Heidelberg 2012

… in einer kühlen Regennacht – und mein Herz an Heidelberg. Es hat in Bächen geschüttet als ich in Heidelberg ankam, auf den Straßen stand das Wasser, aber ich musste mir einen ersten Eindruck dieser romantischen Stadt verschaffen. Und es war märchenhaft. Die alten Gemäuer, die geheimnisvollen Ecken, das sogar im Regenschleier rosenrot durchscheinende Schloss. Kurz vor Geschäftsschluss kam mir ein Schuhgeschäft unter und ich kaufte mir regenfeste Schuhe, meine alten lösten sich langsam auf. So ließ ich sie unauffällig im Abfallkübel verschwinden und erlebte einen wunderbaren Abend trockenen Fußes. Die ganze Stadt eine einzige Sehenswürdigkeit. Die verschiedenen Universitätsgebäude, die Kirchen die imposanten Geschäftshäuser, die Tore und Brücken. Alles atmet Geschichte, Studentenleben, Gediegenheit. Zu früh brach die Dunkelheit herein und ich machte mich auf den Heimweg in eine kleine bezaubernde Jugendstilvilla in Neuenheim rechts des Neckar, in der ich privat untergebracht war. Alle Häuser dieser Wohngegend schienen alt und einzigartig verschnörkelt, verspielt – aus einer anderen Zeit.

Eine Überraschung erwartete mich in meinem Quartier. Im Dachgeschoss waren drei Zimmer und eine Küche, die vermietet waren. Aus der Küche kam ein verführerischer Duft: die zwei anderen Damen, die auch hier vorübergehend wohnten, hatten Kuchen gebacken, Tee gekocht und auf mich gewartet. Wir saßen noch lange zusammen. Das wiederholte sich Abend für Abend. Wir waren ja eine Wohngemeinschaft für kurze Zeit. Svetlana kam aus Russland und lebte schon einige Monate hier, weil ihr Sohn im berühmten Krankenhaus von Heidelberg gegen Leukämie behandelt wurde. Die Therapie schlug an und die Heimkehr war in Aussicht. Wir blieben in brieflichem Kontakt und ich durfte mich über seine völlige Genesung freuen. Der Zweck meines Heidelbergaufenthalts war ein Symposium zu Hypnotherapie des Milton-Erickson-Instituts: Die Kraft von Imagination & Visionen. Was für ein Thema! So verbrachte ich viel Zeit in der ‚alten Pädagogik‘ mit interessanten Vorträgen und Workshops. Manche Programmpunkte allerdings schwänzte ich und begab mich bei strahlendem Sonnenschein auf Entdeckungstour, wie den Philosophenweg, dem schönsten Panoramaweg Deutschlands. Von dort aus gleitet der Blick über den Neckar auf die Heidelberger Altstadt, den Königstuhl und das Schloss, aber auch hinaus in die Rheinebene. An einem der Steinmauern hängt eine Tafel mit den Worten „Heidelbären der Erkenntnis – Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.“ – eine Kant’sche Weisheit. Viele sind verewigt hier, die uns bedeutend sind: Hölderlin, Eichendorff, Ernst Bloch. Die Bezeichnung rührt aber von den Studenten her, die den Weg als idealen Ort für romantische Spaziergänge und ungestörte Zweisamkeiten entdeckten. Studenten hießen früher auch Philosophen, weil jeder Studierende vor Beginn des Fachstudiums zunächst Philosophie studieren musste – eine gute Idee. Und schon streift mein Blick die Neckarauen, ja hier lagern sie die Studenten, vereinzelt und in Gruppen: diskutieren, lernen, machen Musik, genießen die Sonne und die Freiheit. Ich bin dabei: ‚Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Rhein, bald hab ich ein Schätzel, bald bin ich allein‘. (altes Volkslied).

© Christine Sollerer-Schnaiter 2025-02-21

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Informativ, Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend