… ich habe mich in Luft aufgelöst

Hannes Stuber

von Hannes Stuber

Story

[1979] Franz und ich musizierten abends in Hotels in Los Cristianos auf Teneriffa. Ich trommelte, er spielte Gitarre und sang. Unsere Schlafsäcke und Rucksäcke lagen in einem leeren dachlosen Haus, in dem wir übernachteten. Wir lernten Antje, eine deutsche Krankenschwester kennen. Sie bot uns an, in ihrem Hotelzimmer zu duschen. In der Dunkelheit schlichen wir durch den Hotelgarten. Antje holte uns mit dem Lift ab. Nach dem Bad und einer Flasche Wein verließen wir die Anlage über die Gartenmauer.

Eine Woche später fuhr Franz nach Gomera und ich mit Antje nach Las Palmas. In der Altstadt nahmen wir ein Zimmer. Ein paar Tage danach zog ich in ein anderes Hotel. Mit Herbert, einem Deutschen, ging ich eines Nachmittags zu meinem Hotel. Ich bog um die Ecke und prallte erschrocken zurück.

Ein Jeep der Guardia Civil, der Militärpolizei, parkte vor dem Eingang des Hotels, und die sonst sehr bevölkerte Fußgängerzone war menschenleer. Sechs martialische Spanier drehten sich nach mir um. Ich dachte an das Haschischöl in meiner Tasche, das ich gegen ein Auto getauscht hatte, und geriet in Panik. Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief weg. Herbert, der hinter mir um die Ecke getappt war, folgte mir reflexartig. Ich bog in die erste Gasse links ein und lief, so schnell ich konnte.

„Beeil dich, Mann!“, rief Herbert mir nach, „sie sind hinter uns.“ Ich bog um die nächste Ecke rechts. Es waren kurze Häuserblocks. An der folgenden Ecke bog ich wieder rechts ab. Da fuhr soeben ein Linienbus an, ich lief ihm quasi vor die Schnauze. Der Fahrer dachte, ich wollte mitfahren. Er öffnete die automatische Tür. Ich sprang in den rollenden Bus, ließ mich keuchend auf einen Sitz fallen und fuhr ohne Fahrschein bis zur Endstation.

Den Rest des Tages blieb ich im anderen Stadtteil, saß wie betäubt in einem Café. Ich musste Las Palmas verlassen, das war nun klar. Mein Gepäck lag bereits auf dem französischen Schiff, mit dem ich in zwei Tagen nach Martinique segeln wollte. Nur der Reisepass war noch in der Rezeption des Hotels. Nervös betrat ich es am Abend, erhielt den Pass, tauchte rasch in der Menge unter. In einem Café traf ich zufällig auf Antje. Sie rollte besorgt die großen grünen Augen, als ich ihr von dem Vorfall erzählte. Dann sah ich Herbert am Café vorbeigehen. Er berichtete, die Guardia Civil hatte ihn stundenlang verhört, splitternackt ausgezogen, nach mir befragt.

„Sie kapierten nicht, wo du warst. Du hast dich in Luft aufgelöst“, sagte Herbert. „Sie haben sich geteilt und sind von beiden Seiten um den Block gelaufen. Aber du warst weg. Wo warst du?“ Ich erzählte ihm von dem mystischen Linienbus, den mir in diesem gefährlichen Moment die Vorsehung und zwölf Schutzengeln geschickt hatten. Herbert meinte, ein Mann wäre ihm nach der Entlassung heimlich gefolgt, aber er hätte ihn in einem Lokal abgeschüttelt. Ich wurde nervös und nahm ein Taxi zum Hafen. Herbert und Antje begleiteten mich. Am Pier verabschiedete ich mich von den beiden und pfiff zum Schiff der Franzosen hinüber. Ein Dingi holte mich ab. Nichts wie raus aus Europa!

© Hannes Stuber 2019-07-02