Ich halte dich

UrsulaJocham

von UrsulaJocham

Story

Wo bleibst du denn?

Ein paar Mal habe ich schon in den Rückspiegel geschaut, – ohne Erfolg. Ich sehe dich nicht! Dabei sind wir doch eben gemeinsam losgefahren. Ah, endlich erspähe ich ganz hinten einen Scheinwerfer. Also dann – Gas geben und weiterfahren!

Ich schwinge die zahlreichen Kurven zügig von der Turracher Höhe hinunter. Wenig Verkehr – so schön zum Fahren!

Irgendwie erwarte ich jeden Moment, dass ich dich gleich hinter mir im Spiegel erblicke. Aber nichts. Komisch. Die paar Autos auf der Strecke solltest du doch schon längst überholt haben! Aber nichts. Komisch.

An der Einmündung in die Landstraße nach Tamsweg warte ich am Straßenrand. Ich warte. Ich warte. Aber nichts. Komisch.

Nach und nach kommen die Fahrzeuge, die ich überholt habe und biegen ab. Eins nach dem anderen. Und du? Du kommst erst nach dem letzten Auto. Komisch.

Du biegst ab und ich ordne mich vor dir ein. Fahre weiter, überhole das erste Auto. Ich warte. Ich warte. Aber nichts. Wo bleibst du? Komisch.

Auf dieser schönen freien Landstraße fährst du hinter den Autos her. Warum? Komisch.

Ich bleibe am Straßenrand stehen. Du auch. Du nimmst den Helm ab. “Ich kann nicht mehr fahren“- presst du mit Tränen in den Augen stockend heraus. “Ich bleibe hier. Fahr du einfach weiter.” Nackte Verzweiflung spricht aus deinem Gesicht!

Und ich? Nein, wirklich nicht! Wo kämen wir denn da hin! Also fahren wir ganz langsam weiter. Gemeinsam. Schauen, dass wir für dich was zu Essen und zu Trinken bekommen. Mit 60km/h zuckeln wir am Fahrbahnrand die Bundesstraße entlang. Ich – dich immer fest im Blick. Lass dich nicht aus den Augen.

Erleichtert biegen wir zu einer Tankstelle ab.

“Setz dich jetzt bitte auf die Bank neben den Zapfsäulen. Warte hier!” Nach ein paar Minuten komme ich voll beladen zurück. “Trink jetzt bitte einen Schluck Cola! Iss jetzt einen Traubenzucker. So, jetzt einfach hinlegen.” Zögernd, aber dankbar folgst du meinen Anweisungen.

Ich nehme deinen Kopf und bette ihn auf meinen Schoss. Die Bank ist nicht bequem, aber in deiner Motorradkombi liegst du weich.

Ich halte dich. Nach einigen Minuten bist du eingeschlafen. Ich halte dich. Deine Gesichtszüge entspannen sich. Du siehst so friedlich aus, – wie ein Engel. Ich liebe diesen Anblick! Umso mehr, weil ich weiß, was du in deinem Leben schon alles ertragen musstest.

Ich halte dich. Jetzt. Du bist sicher – hier bei mir, an diesem Ort. Zärtlichkeit durchströmt mich sanft. Ich wache über dich. Bin da – wie ein Fels in der Brandung. Nichts kann dir passieren. Wie eine Löwin würde ich dich gegen alles und jeden verteidigen. Ich fühle mich stark, so stark.

Wie ein Fels in der Brandung gebe ich dir Halt. Bin da. Einfach nur da. Mit allen Sinnen halte ich dich. Könnte dich ewig halten. Jetzt ist nur eines wichtig: Du

Ich halte dich. Du bist so zerbrechlich. Fragil. Ich hoffe, dass du Frieden und Kraft findest – jetzt. Ganz sanft halte ich dich. Fest, ganz fest.

Nach einer Stunde öffnest du die Augen. Du schaust mich an. Ich weiß – es ist vorbei

© UrsulaJocham 2023-01-24

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