Ich halte dich am Berg

Teresa Schönmayr

von Teresa Schönmayr

Story

Mein Name ist Ernst und ich bin Bäcker. Ich bin heute Nacht früher aufgestanden als sonst, weil mir eine schwierige Aufgabe bevorsteht. Ich backe nämlich ein Brot für Alois, das er morgen mitnehmen wird auf den Berg. Gestern am Vormittag war er bei mir im Geschäft und hat mir erzählt, dass er für morgen eine schwierige Tour geplant hat. Er will auf einer neuen Route durch die Schattige Wand gehen, eine Route, an die sich noch keiner herangetraut hat. Da gibt es nämlich einen brutal gemeinen Felsüberhang, von dem es im Dorf heißt, dass der unmöglich zu klettern ist. Dass sie der Alois jetzt alle eines Besseren belehren möchte, wundert mich nicht, eher, dass es so lange gedauert hat, bis er auf diese Idee gekommen ist. Er hat mich gebeten, ihm mein bestes Bergsteigerbrot zu reservieren. Und dieses Brot backe ich ihm heute Nacht.

Die Arbeit ist sehr anstrengend, weil ich, während ich den Teig knete, mit aller Kraft für Alois bete. Nicht zu Gott, an den glaube ich nicht. Mein Gebet ist an niemand Bestimmten gerichtet, es ist eine einfache Beschwörung: Bitte komm heil zurück!

Gut, dass niemand weiß, was ich hier mache. Die würden mich schnellstens einweisen. Aber ich bin nicht verrückt. Irgendwer muss ja dem Alois die Kraft geben. Er ist mein Freund, schon seit wir Burschen sind. Nie hat er sich lustig gemacht über mich, weil ich so still war und mich nicht gut ausdrücken konnte. Er hat mich nie viel gefragt, wir haben uns einfach verstanden. Das Beten ist anstrengend, ich lasse meine Kraft für Alois in die Schweißtropfen fließen, die mir von der Stirne rinnen. Viele Schweißtropfen fallen in den Teig. Viel Kraft für Alois.

Auf die Idee mit dem Beten, bin ich vor längerer Zeit gekommen, als ich mir einen Film über die Doppelüberschreitung des Gasherbrum I und II durch Messner und Kammerlander angeschaut habe. Der Titel war “Gasherbrum – Der leuchtende Berg”. Wunderschön klingt das in meinen Ohren. Erhaben und kraftvoll, Gasherbrrummm, immer wieder sage ich diesen Namen unwillkürlich vor mich hin.

Die Tour, die Messner und Kammerlander dort beschreiten, ist extrem waghalsig. Die Überschreitung von zwei Achttausendern hintereinander, das hat vor ihnen noch keiner versucht. Allein deshalb hat mich das ganze schon sehr an Alois erinnert.

In dem Film wird vom Koch der Expedition erzählt. Dieser muslimische Pakistani hat die letzten 4 Nächte der Tour der Bergsteiger alleine durchwacht und unermüdlich für ihre Rückkehr gebetet. Als ich das gehört habe, sind mir die Tränen gekommen. Ich sah es vor mir, wie er dort allein im Schutt kniet, sich tief verbeugend, dann wieder die Hände gen Himmel streckend. Es ist groß, was der Koch da getan hat, für zwei Männer, die er gar nicht richtig kannte, die ihm sehr fremd erschienen sein müssen. Und auch, wenn es die beiden sicher nicht wissen, ich glaube sie haben dem Koch sehr viel zu verdanken. Ich glaube, dass er die beiden am Berg gehalten hat, mit seiner ganzen Kraft. Genau das möchte ich auch für Alois tun.

© Teresa Schönmayr 2021-06-28

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