Ich hatte einfach Pech.

elisalways

von elisalways

Story

„Du hattest einfach Pech!“ Das wurde mir damals erzählt, als ich meine Eltern verloren habe. Einfach Pech gehabt. Bei einer Razzia in einem naheliegenden Rebellenversteck und der darauf folgenden Verfolgungsjagd wollte sich dieser Mann bei uns im Wohnzimmer verstecken. Aufgeschreckt durch den Lärm rannten meine Eltern und ich runter. Ich hatte meinen kleinen Kopf an der Tür empor gestreckt, um durch den Türspion zu gucken. Bevor mich meine Mutter zurückziehen konnte, wurde auch schon die Tür eingetreten und ich gegen die Rückwand geschleudert. Ich bin ohnmächtig geworden und als ich wieder erwachte, waren meine beiden Eltern tot. Pech gehabt!

Ich erhielt keine Hilfe. Ich wurde einfach unter den Teppich gekehrt und vergessen. Selbst von meinem damals besten Freund wurde ich verstoßen. Einige Tage, nachdem das passiert war, traf ich ihn wieder. Überrascht riss er bei unserem Treffen auf dem schmalen Gang, der die Eingänge unserer jeweiligen Häuser verband, seine braunen Augen auf. „Du lebst!“, rief er und rannte auf mich und schloss mich in seine Arme. Ich stieß ihn allerdings wieder von mir. Obwohl wir beide erst sieben Jahre alt waren, hatte ich definitiv mehr Kraft als er. Pech gehabt!

Verwirrt schaute er mich an und sprach: „Uns wurde erzählt, dass es dich auch erwischt hat. Was ist passiert?“ Im Gegensatz zu ihm hatte ich keine Lust, zu reden. Genervt erwiderte ich: „Stimmt, aber ich bin ja noch da! Und du bist schuld an meiner Lage! Du und dein dämlicher Vater.“ „Hey, nur weil mein Vati Polizist ist, hat er nichts damit zu tun!“, versuchte er sich zu verteidigen. In dem Moment war ich allerdings so verletzt, dass ich gar keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ich gestikulierte nur wild mit meinen Armen, konnte allerdings das schreckliche, was mir passiert war, nicht weiter in Worte fassen.

Mein bester Freund, die Person, die ich nach meinen Eltern nun schon am längsten kenne, versuchte noch einige Male, mir mehr Informationen zu entlocken. Ich blockte immer wieder ab und starrte nur, mit einer Mischung aus Wut, aber auch ganz viel verletzten Gefühlen, auf den Boden.

Einige Zeit fuhr er aber ziemlich aus der Haut und wurde von Mal zu Mal lauter: „Wenn du nicht mit mir reden willst, dann hast du eben Pech gehabt, Scarlett! Dann können wir dir auch nicht mehr helfen!“

Er macht daraufhin auf dem Absatz kehrt und machte Anstalten, zu verschwinden. Dann platzte es aber doch aus mir heraus: „Dann geht doch einfach. Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich hasse dich, Dylan!“ Ich sah, wie er von meinen Worten zusammen zuckte. Dann hatte ich auch schon auf dem Absatz kehrt gemacht, und wir beide sind in entgegengesetzte Richtungen davongelaufen. Wir beide hatten einen steinernen Gesichtsausdruck.

12 Jahre ist das inzwischen her. Seitdem haben wir uns weder gesehen noch gesprochen. Heute habe ich ihn jedoch das erste Mal wiedergesehen…

© elisalways 2022-07-20

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