Ich lasse los.

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Seit einer guten Stunde sitz ich jetzt im Gras bei ihr. Was ich zu sagen hab, reißt mir mein Herz in tiefe Gründe, und mehr als Seufzen bring ich nicht heraus. Dann muss es sein, ich fasse Mut. “Lydia, süße Pollenfee…”, ich seufze schwer, und alles in mir sperrt sich gegen das, was kommen muss: “Ich bin das letzte Mal bei dir heut. Liebes Herz, ich werd nicht wiederkommen.” Ich schweige, meine Lippen beben. “Ich nehme meine Kerze und die Blumen fort. Sie sind ein Teil von meinem Glauben, nicht von deinem.” Ich mach die Lampe frei, ich zieh den Blumenkübel fort vom Stein. “So viele Jahre, fast 20 an der Zahl, dass wir uns trennten. An jedem Tag in also vielen Augenblicken war mein Herz bei dir. War deine Liebe auch vergangen, die meine war es nicht. Und bis zuletzt, bis noch vor einer Stunde wollt ich hoffen auf ein Wiedersehen. Ich glaubte fest, im Drüben fände ich zu dir und du zu mir. Es gibt kein Drüben. Gibt auch kein Hüben mehr, denn was ich sage, hört nicht mal Gott an diesem elend tristen Ort.“

“Wie sehr ich hoffte, dass wir uns wiederfinden eines Tages. Vielleicht mit sechzig Jahren oder mehr. Es gibt kein Wiedersehen. Du bist fort, und wie es scheint, wird sich so bald daran nichts ändern.” Ich schniefe leise. “Du hast mich lang vergessen, dich von mir entliebt. Ich weiß das jetzt. Es gab sie lange nicht mehr ”uns’re“ Liebe, nur meine Liebe lebte ganz alleine fort.“ Ich weine still, ich will nicht sagen, was ich sagen muss. Es tut so weh! “Wenn es dich gibt, wenn du mich nur ein bisschen liebst…”, so flüst’re ich: “… lass mich nicht sagen müssen, was ich sagen muss. Herr, gnadenvoller Gott, erspar mir das!” Ich halte inne, weine, warte. Er will nicht gnädig sein. Nicht einmal jetzt. Ich fasse mir ein Herz, schluck meine Tränen fort und seufze: “Also dann!”

“Ich lass dich los, verstehst du, Herz? Ein Wort nur, und wir hätten neu begonnen. Was immer dich das eine Wort nicht sprechen ließ, du hattest deine Gründe. Nun bist du tot. Das muss wohl besser sein, als leben müssen hier mit mir. Ich akzeptiere deine Wahl. Ich lass dich los. Erneut. Und es ist schrecklich, reißt mein Herz in Fetzen. Ich lass dich los. Weil deine Hände, Deine Liebe nicht mehr nach mir fassen. Ich lass dich los. Für immer.”

Es tut so weh, genau wie dero einst, als ich schon einmal losgelassen hab.

“Ich werd dich immer lieben. Ich habs geschworen, und ich will es halten – WILL es halten. Du wirst für immer meine große, schönste Liebe sein. Und wenn es eine neue Runde geben sollt im Sein, und wenn du willst, dann finde mich. Ich will’s noch einmal gerne mit dir wagen.”

Ein letzter Kuss, von Fingern hingehaucht, dann geh ich fort. „Adies, Pollenfee.“

Ich werf die Blumen und die Kerze in den großen Eimer. Ich zieh die Eisenquietschetüre langsam in das Schloss. Und leise spreche ich zum Abschied:

„Hier ist ein holder Zweig der Zeder abgerissen,Und dieser jähe Fall lässt alle Menschen wissen,Dass Jugend, Tugend nicht vom Sterben sie befreit,Weil diese Rose welkt bei schönster Frühlingszeit.“

© MISERANDVS 2021-06-29

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