Ich lese gerade

Herr Odri

von Herr Odri

Story
Mutter Erde 1968 – 2025

Nicht, dass mir die Ideen ausgehen und ich wegen einer massiven Schreibblockade das Bett hüten muss. Nein, keine Sorge, ich schau’ schon auf mich. Dieser Zustand ist mir fremd. Sollten mir dennoch einmal die Ideen ausgehen, habe ich ein großes Archiv, in dem aktuelle und vergangene Schmankerl aus meinem Berufsleben verwahrt und jederzeit abrufbar sind. Als stolzer Besitzer einer Jahreskarte für die städtische Bücherei, habe ich die Möglichkeit, mir Medien aller Art auszuborgen, um meinen unstillbaren Wissensdurst zu stillen. Meiner Meinung nach sollte man sich als Schreibender auch dem geschriebenen von anderen Schreibenden widmen. Vor allem dem geschriebenen der Vergangenheit. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe Weisheit nicht mit dem Löffel gegessen. Ich habe lediglich Allgemeinbildung und einen Job, der es mir ermöglicht in dieser materialistischen Welt relativ gut zu überleben. Den Gedanken, von meiner Kunst meine Brötchen zu bezahlen habe ich schon lange bei Seite geschoben. Was aber nicht heißt, dass ich meine Kreativität unterdrücke. Im Gegenteil. Ohne „Erfolgsdruck“ geht mir alles leicht von der Hand und wenn ich mir meine Zeit einteilen kann, entstehen schon mal gute Geschichten und gute Kompositionen. So kann ich authentisch bleiben und muss mir keinen Maulkorb verpassen lassen. Der Mainstream war nie meine Bühne. Der oberflächlichen „Bussi Bussi“ Gesellschaft, der sogenannten High Society, schenke ich mein bedauernswertestes Lächeln und zivilisierte Subkulturen im Inland bekommt von mir einen Daumen hoch. Lesen ist für mich abenteuerliches Reisen im Kopf. Meiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und selbst Gedanken, welche anders sind, von der Norm abweichen, kann ich zu Ende denken, ohne dass mir jemand sagt: „Du Du, dass darfst Du nicht!“. Wenn im realen Leben eine Handvoll Subjekte über 8 Milliarden Artgenossen im Zaum halten und dass ohne Konsequenzen, dann sei es mir gestattet meine Fantasien auszuleben. Im Gegensatz zu diesen Handvoll Subjekten verursache ich kein Leid auf Mutter Erde. So werde ich weiterhin lesen, solange es Bücher auf diesem Planeten gibt. So werde ich weiterhin schreiben, den einen oder anderen Leser meiner Geschichten dazu bewegen, diese aus den Fugen geratene Welt vielleicht mit den Augen eines Kindes zu betrachten. Kinder denken ganzheitlich und haben keine Scheu, Dinge zu hinterfragen. In dieser modernen Welt ist es scheinbar nicht erwünscht, seinen Verstand zu benutzen. Wäre es erwünscht, sähe der Status Quo auf Mutter Erde anders aus.

Ich lese gerade „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ von Jakob Wassermann. Eine Stelle in diesem Buch hat mich fasziniert. „… das man ein ganzes Land skrupellos mit albernen Märchen füttert.“ Während meiner wöchentlichen Hausarbeit – das monotone Sauggeräusch meines Thomas Boxer Staubsaugers inspiriert mich jedes Mal aufs neue – habe ich diese Zeilen ein wenig modifiziert: „… das man die Bewohner des Planeten Erde mit albernen Märchen füttert, zu welchem Zweck auch immer.“

© Herr Odri 2025-03-26

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Emotional, Komisch, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Traurig