“Ich liebe dich nicht mehr” (4)

Canyon

von Canyon

Story

Ich liege im Bett, noch halb gefangen vom Schlaf der letzten Nacht und schaue dem spanischen Tageslicht zu, wie es beginnt die umstehenden Bäume zu vergolden. Das Bett in unserem Bus ist im Heck, Panorama-Fenster auf 3 Seiten. Manchmal, wenn wir gerade reisen und nicht wie jetzt in einem Garten feststecken, ist das Aufwachen der schönste Moment des Tages. Denn oft kommen wir erst bei Dunkelheit an unserem Schlafplatz an, irgendwo an der Küste oder an einem Fluss, oder mitten in einem Dorf. Da bleibt uns der Ort bis zum nächsten Tag verborgen. Beim Aufwachen aber zeigt er seine Schönheit im Morgenlicht, lässt seine Geräuschkulisse spielen, und dann kuschle ich mich in meine Kissen und fühle ich mich geborgen wie in einem Nest, umgeben von Neuem, Unbekanntem, Spannendem, das darauf wartet, erforscht zu werden, und bin einfach glücklich. Es ist wie Fernsehen, nur dass man jederzeit beschliessen kann, den Fernseher aufzumachen, und in die Szene hineinzusteigen, die gerade spielt.

Heute ist es anders. Ich kenne den Ausblick schon seit 2 Wochen und merke, dass ich bereit für Neues bin. Paul schläft noch, atmet leise, rhythmisch, einlullend. Früher hätte ich gewartet, bis er sich bewegt und hätte mich dann an ihn gekuschelt, ihn eingeatmet, und wäre mit ihm wieder eingeschlafen. Jetzt hoffe ich, dass er weiterschläft und ich den Tag alleine beginnen kann, ohne Konfrontation mit seiner Wachheit, seinen Worten.

Ich denke an John, den letzten meiner Liebhaber vor unserer Abreise aus England, an die Nächte mit ihm, an den Geruch seiner Wohnung in London, an Vanille-Eis mit frischer Mango zum Frühstück im Bett. Er würde sich hier nicht wohlfühlen, keiner meiner Freunde würde es. Es wäre allen zu schräg, zu irreal, zu fremd. Und genau das ist es wohl, was sie in mir suchten und fanden: das Unkonventionelle, die Frau mit anderen Ansichten, Visionen, Wünschen. Die Frau, die nicht viel vom “normalen” Leben hält, die Abwechslung braucht, um glücklich zu sein. Die Verrücktheiten braucht, um sich erfolgreich zu fühlen, die Vielfalt braucht, um erfüllt zu sein, und deren Leben so bunt und aufregend erscheint, dass allein sie zu kennen auch ihr eigenes bunter und aufregender macht. Diese Männer bewundern mich und lernen mich doch nie wirklich kennen. Sie wissen nichts von der Anderen in mir, von der verletzlichen, bedürftigen, unsicheren Person, die ich nicht mochte und immer noch nicht mag. Sie ist das Kind, dass sich vor Hunden fürchtete, das nicht allein durch das Heimatdorf gehen konnte, ohne sich von allen beobachtet zu fühlen, das Angst vor den Jungs in der eigenen Grundschulklasse hatte und vor lauter Gehemmtheit kaum den Mund aufbekam. Ich stehe nicht auf dieses harmlose Mäuschen, das versucht sich unsichtbar zu machen und hab es deshalb zur Katze mutieren lassen.

Sollen sie nur Respekt vor meiner Unabhängigkeit haben und meinen Mut bewundern.

Ich tu’s ja schließlich selbst auch!

© Canyon 2021-03-28