Ich mach mir die Welt

MyBarefootSoul

von MyBarefootSoul

Story

Ich bin so tief drin in meinem Leben.

In meinen Gedanken, Sorgen, Freuden. Ja gut, es sind weit mehr Freuden als Sorgen. Wie schön!

Aber es ist auch eine Blase, meine Blase, meine subjektive Realität. Frei nach Pippi Langstrumpf:

„Ich mach‘ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt“


Vor ein paar Tagen stand ich an der Kassa beim Billa und war damit beschäftigt, die 25-%-Pickerl auf meinen Singlehaushaltseinkauf zu kleben, als es zwei Meter vor mir neben der Kassiererin einen ordentlichen Rumpler machte.


Und eigentlich hab ich überhaupt keine Lust, mir von irgendwas oder irgendwem dazwischen funken und bewusst machen zu lassen, dass meine sonnige Realität nicht universal omnipräsent ist und meine Blase spröde Stellen aufweist.

„trallari trallahey tralla hoppsasa“

Ja gut, das war nicht immer so. Darum berührt mich dieser Vorfall vermutlich tiefer als mir lieb ist.


Ich sah auf und da lag ein Mann mittleren Alters am Boden. Ich erschrak und wollte schon hinstürzen, mich noch wundernd, dass alle anderen Kunden das nicht taten, als der Mann sich langsam aufzuraffen begann.

Da hob er den Kopf und ich sah sein Gesicht. „Ach du Scheiße!“, dachte ich. Es sah aus, als wäre er in den Fleischwolf geraten, offene Stellen, rot-blaue Blutergüsse und Schwellungen am ganzen Kopf.

Aber kein Blut, komisch, wie gibt’s das? Da erst erkannte ich, dass diese enorme Verletzung schon älter war. Einen Tag, zwei vielleicht. Und warum niemand ihm aufhalf. Er war stark alkoholisiert und seine Kleidung schmutzig.

„Nix passiert“, lallte er lachend, während er sich aufstemmte und mühsam das Geld für die zwei Dosen Bier, die er kaufen wollte, hervorkramte.

Ich war schockiert und wollte vorschlagen, die Verletzungen im Gesicht behandeln zu lassen, aber konnte nichts sagen. Ich war gelähmt. Das war alles außerhalb meiner Blase und da traute ich mich nicht raus. Ich versuchte in diesen wenigen Sekunden zu entscheiden, was richtig wäre, wie ich mich hier korrekt verhalten sollte. Als Mitmensch. Aber ich wusste mit der Realität dieses anderen Menschen, der da so nahe an der Membran meiner Blase kratzte, nicht umzugehen.

Der Mann verließ das Geschäft mit den Bierdosen.

Am Heimweg horchte ich in mich hinein und ich überraschte mich. Mir war klar, dass das auch ich hätte sein können gerade. Mensch mittleren Alters, zerstört vom Leben. Betrunken und verletzt in Lumpen öffentlich am Boden liegend. Damals verachtete ich mich. So wie ich noch vor Kurzem diesen Mann verachtet und verurteilt hätte, dass er sein Leben so wegwirft.

Aber ich habe mich verändert. Ich fühlte tiefes, ehrliches Mitleid mit diesem Menschen. Keine Verachtung, keine Verurteilung. Und ich spüre diese Veränderung zu früher in mir.

Es gab jemanden, der mir einmal geholfen hat und ich wollte mir auch helfen lassen.

Für beides bin ich heute dankbar, denn das vorhin hätte genauso gut ich sein können.


„2 x 3 macht 4

widdewiddewitt

und drei macht neune

Ich mach‘ mir die Welt

widdewidde wie sie mir gefällt“

© MyBarefootSoul 2020-09-19

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