Ich mag keine Countertenöre

Christine Salchegger

von Christine Salchegger

Story

In den finsteren Zeiten des Patriarchats war für Frauen außer unzähligen anderen Dingen die Bühne tabu und so wurden Frauenrollen mit Männern besetzt. In Opern sangen Männer mit einer ausgefeilten Stimmtechnik, sogenannte Countertenöre, den Part der heutigen Altstimme.

Vielleicht stammt daher meine Abneigung gegen Countertenöre, denn bei allem, bei dem es um Diskriminierung von Frauen geht, bin ich empfindlich. Schließlich war die soziale Schicht, in der ich aufwuchs, ziemlich frauenfeindlich. Als mein Vater einem Nachbarn zur Geburt eines Kindes gratulierte, wehrte dieser ab: „Brauxt nit gatuliern, is eh glei a Diandl (Du musst nicht gratulieren, es ist nur ein Mädchen)!“

Inzwischen haben die Frauen die Bühne erobert und damit wären Countertenöre eigentlich überflüssig, aber es gibt sie immer noch. Dabei kann eine Männerstimme in dieser Tonhöhe nicht mit dem warmen Timbre einer Altstimme mithalten, finde ich.

Countertenöre sind auch nur Menschen, ich habe nichts gegen sie, solange sie nicht singen. Es sind wahrscheinlich durchwegs nette Leute, der einzige, den ich privat kenne, ist ein ausgesprochen sympathischer Kerl.

Nie werde ich meine erste Begegnung mit einem Countertenor vergessen. Wir saßen in Salzburg in der Kollegienkirche und zogen uns „Jephta“ rein, ein Oratorium von Händel. Das Libretto ist nicht mein Lieblingstext, Jephta zieht in die Schlacht und verabschiedet sich vorher von seiner Tochter, aber ich liebe Barockmusik. Die Töne erfüllten den ganzen Raum und alles war gut, bis der Verehrer der Tochter auftrat. Optisch machte er ja was her, da kann man nichts sagen. Aber als er seine erste Arie sang und seine Stimme sich in höchste Höhen schwang, bekam ich einen Lachkrampf.

Ich presste meine Hände vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. In meinem Kopf entstand ein Bild des Nachbardackels Waldi, der manchmal in den höchsten Tönen jaulte. Gekrümmt saß ich auf der Kirchenbank, Tränen liefen mir über die Wangen und es schüttelte mich vor Lachen. Die ganze Bank wackelte. Indignierte Blicke trafen mich, Blicke, die sicher das Potential hatten zu töten. Aber da ich sozusagen einen Lachpanzer trug, prallte das alles ab und verpuffte.

Lange konnte ich mich nicht beruhigen. Ich kenne das aus Kindertagen. In Situationen, in denen es nicht angebracht war zu lachen, etwa bei einer Messe, reichte es, wenn in der Bank vor mir jemandem ein kleines menschliches Missgeschick passierte und ich kicherte die ganze Predigt lang.

Die Handlung nahm ihren dramatischen Lauf, aber ich bekam nicht alles mit. Als ich mich halbwegs entspannt hatte, sollte die Tochter wegen eines Gelübdes geopfert werden. Ihren Freundinnen gegenüber beklagte sie, dass sie als Jungfrau sterben müsse. Mein Bekannter neben mir murmelte: „Kein Wunder, bei diesem Verehrer!“ Sofort war Waldi wieder da.

Keine Ahnung, wie die Sache ausging. Falls ich meinen Banknachbarn den Hörgenuss verdorben hatte, tut es mir leid, es war keine Absicht.

© Christine Salchegger 2020-01-28