Diesen Satz hätte ich vermutlich nicht sagen sollen, mehr als 40 Jahre nach meiner Matura in russischer Sprache. Aber was kommt einem nicht alles über die Lippen, wenn die Not groß ist. Wenn man mitten in Serbien mit dem Wohnmobil spät abends auf dem Weg nach Griechenland einen Schlafplatz sucht. Wenn das Navi einen von der Autobahn abgeleitet hat mit Koordinaten, die das Internet ausgespuckt hat, befragt nach einem Campingplatz zwischen Belgrad und Nisch.
Die reizende Navi-Stimme lotste uns zielsicher immer tiefer in den Stadtkern von Jagodina. Der Verkehr riss plötzlich ab, und wir waren nur noch von Rollschuh fahrenden Kindern und einer feiernden Menschenmenge umgeben. Unsere charmante Lotsin verkündete munter weiter: „Fahren Sie geradeaus!“
„Stop!“ Der Polizist am Straßenrand hieß uns anzuhalten.
Mein Mann zeigte ihm einen Notizzettel. „A campsite, here?“ Der Ordnungshüter hob fragend die Augenbrauen. Er wandte sich an einen Passanten, bemüht uns zu helfen. Sein Englisch reichte so recht und schlecht, uns die Information weiter zu geben. Dabei rollte er seine Augen, als wolle er die längst in Vergessenheit geratenen Vokabeln aus allen Winkeln seines Gehirns hervorholen. Als wir erwartungsvoll am beschriebenen Ziel ankamen, war da nur ein eingezäuntes Betonfeld.
Plötzlich erhellte ein Autoscheinwerfer unsere trübe Stimmung. Eine Frau stieg aus, kam auf mich zu. „Is there a campsite nearby?“ Achselzucken. „Wü gaworite pa-russki?“, fragte mich die Serbin nach meinen Russischkenntnissen, und ich ergriff den Strohhalm. „Nimnogo“, ein bisschen, antwortete ich, ohne mir der Folgen bewusst zu sein. Von nun an sprudelten russische Wortschwalle aus der Serbin heraus. Wir folgten ihr und hielten auf einer unbeleuchteten Wiese an. „Moi musch i maja datscha“. Das war ihr Mann und dort drüben ihr Landhäuschen. Da war genug Platz für uns zum Schlafen. Ob wir gleich einen Kaffee wollten oder erst zum Frühstück, wollte sie wissen.
Da war wohl etwas schief gelaufen mit der Kommunikation. „Cpasibo“, danke, kein Kaffee. Ich deutete auf unser Wohnmobil, das nun so recht und schlecht zwischen Traktor und Steinehaufen seinen Platz gefunden hatte. Die Serbin sah mich verdutzt an, hatte sie doch gehofft, mit Kost und Logis ihr Einkommen aufzubessern.
Bleiben wir? Die unausgesprochene Frage bedurfte keiner Antwort. Wortlos stieg ich ein, mein Mann startete das Wohnmobil.
Zurück im Zentrum von Jagodina entdeckten wir einen Parkplatz neben einem Supermarkt. Umgeben von Wohnbauten. Gut beleuchtet. Ideal für eine Nacht.
Zeitig am nächsten Morgen setzten wir unsere Fahrt fort. Als wir beim Frühstück die Morgenröte bewunderten, waren wir schon mehr als 300km von der Datscha entfernt.
Wenn die Serbin auch vergeblich auf uns wartete, mir blieb die Peinlichkeit erspart, am Frühstückstisch dann doch noch meine begrenzten Russischkenntnisse auspacken zu müssen.
© Gabriele_Krele-Art 2022-02-07