von Armin Zastrow
Autobahnzubringer Freiburg-Mitte. Mit den Monkees, „I’m a believer“, klingt die Oldiesendung aus: „ I thought love was only true in fairy tales,…“. Ich drehe das Radio voll auf. Wie sehr liebe ich es, mit Sonja Jive zu tanzen zu diesem Titel! Einen wundervoll schnellen Jive, voller Schwung und Lebensfreude! Die Tiefgarageneinfahrt. Nur noch eine Minute trennt mich von ihr. Sie öffnet die Tür, bevor ich läuten kann. Wir liegen uns in den Armen, im dämmrigen Zwielicht des Treppenhauses. Schön, dass du schon da bist!
Ich betrete das Wohnzimmer, nachdem ich mich etwas frisch gemacht habe. Auf dem Tisch eine Flasche Rotwein. Italienischer Landwein, wie ich ihn liebe. Trocken. Aus den Abruzzen. Drei rote Kerzen brennen. Ihre Flammen flackern in der angenehm kühlen Zugluft, die durch die geöffnete Balkontür weht. Ein Strauß roter Rosen schmückt die gläserne Kugelvase. Über allem schwebt der würzige Duft italienischer Küche. Leise rauscht der Umluftbackofen. Habe ich einen Hunger!
Sonja tritt aus der Abenddämmerung vom Balkon in das Wohnzimmer zurück. Erst jetzt sehe ich sie richtig. In diesem aufregenden ärmellosen roten Kleid, eine rote Rose im hellblonden Haar, verführerisch rote Lippen, das dezente Make-up der Augen. Sie weiß, wie sehr ich dieses Kleid an ihr liebe. Bei jedem Schritt wird das ganze Bein freigegeben, vom Fußgelenk fast bis zur Hüfte. Nur für Sekundenbruchteile. Und dann fällt er wieder, der Vorhang, als ob nichts geschehen wäre… Durch die geöffnete Balkontüre und die Fenster dringen die letzten Strahlen der Abendsonne und spielen in ihren Haaren, während sie den ganzen Raum in ein geheimnisvolles kupferfarbenes Licht tauchen. Aus der Musikanlage erklingen meine liebsten Tangomelodien. Ich bringe es nicht fertig, mich zu setzen. Die Stimmung ist so unbeschreiblich schön, so erhaben, und doch so zärtlich. Erst den Tango mit ihr. Behutsam drehe ich am Lautstärkeregler. Etwas lauter, die Musik, aber nicht zu viel. Sonst werden die Kinder wach. Und das dürfen sie nicht, nicht jetzt, in diesen Augenblicken. Ich gehe auf sie zu und nehme sie in den Arm. Wir trauen uns nicht, auch nur ein einziges Wort zu wechseln. Als könnten wir diese fragile Stimmung zerstören. Sie lächelt mir zu, so, wie sie immer lächelt, wenn sie genau weiß, was in mir vorgeht. Weißt du noch, was du mir versprochen hast, zur Silberhochzeit in zwei Jahren? Tango auf heißem vulkanischem Boden von Lanzarote, am Meer, bei Sonnenuntergang. Ich fange an zu träumen. Und ich beginne zu frieren vor Glück… nur für Augenblicke.
© Armin Zastrow 2020-06-22