Ich will keine Prinzessin sein

Lena Nausch

von Lena Nausch

Story

Nach Luft schnappend riss ich meine Augen auf, aufgeweckt von meinem eigenen Schrei, der mir noch immer in der Kehle steckte. Bevor ich Herrin meiner Sinne werden konnte, hatte sich mein Oberkörper kerzengerade im Bett aufgerichtet. Es war eine typische Reaktion, derer ich – im Unterschied zu den wiederkehrenden Alpträumen – nie müde wurde. Blind tastete ich nach dem Lichtschalter an der Wand. Bis ich ihn fand, vergingen Sekunden, in denen ich der Dunkelheit und den Schatten ausgeliefert war. Mein zittriger Atem durchbrach stoßweise die Stille, machte sie aber nicht weniger erdrückend.

Dann erwachten die Lüster, die die Wände zierten, surrend zum Leben und leuchteten mein Schlafzimmer aus.

Mein Kopf fuhr herum, aber bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, waren die Schatten längst verschwunden. Zurückblieben nur die grässlichen Überreste meines Traums, der sich in mein Gedächtnis gebrannt hatte und dafür sorgte, dass ich trotz des langen Nachtkleids fror.

Im nächsten Moment öffneten sich die Türen zu meinem Gemach und ich rutschte nach hinten, bis ich die Pölster in meinem Rücken spürte. Ich versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen. Nur mein rasendes Herz und die Tatsache, dass meine Finger sich in die Seidendecke krallten, straften meine Haltung mit Lügen. Als ich Magdas zierliche Gestalt im Türrahmen sah, entspannte ich mich ein wenig.

“Schon wieder derselbe Traum, Prinzessin?”, wollte meine Kammerzofe von mir wissen und schloss leise die Türen hinter sich. Langsam näherte sie sich meinem Bett und der Lichtschein offenbarte die Sorge, die sich in ihr Gesicht gegraben hatte, und den Kummer darüber, dass sie und ich eine weitere schlaflose Nacht vor uns hatten.

Ich brachte kaum ein Nicken zustande, so verstört war ich. Dabei sollte ich es mittlerweile gewohnt sein, immerhin hatte Magda Recht: Es war wieder der Alptraum, in dem ich zur Königin gekrönt wurde. Die Hintergrundgeschichte war dabei stets eine andere. Mal starben meine Eltern an natürlichen Ursachen, mal war ich es, die sie umbrachte, um den Thron zu erben. Doch das Ergebnis war stets dasselbe. Ich fand mich einem Reich voller Schatten gegenüber wieder. Namenlose Gestalten, deren blicklose Augen auf mir lagen, stille Erwartungen auf den Zungen liegend. Sie wollten so viel von mir, doch ich konnte ihnen nichts geben.

Ich war noch nicht bereit für diese Verantwortung. Ich wollte sie nicht. Doch ich konnte mir meine Zukunft nicht aussuchen, denn mein Schicksal war bereits mit dem Augenblick meiner Geburt besiegelt worden.

Magda ließ sich auf der Bettkante nieder und legte ihre faltige Hand auf meine. “Soll ich Euch wieder eine Geschichte erzählen, Prinzessin?”

Wieder nickte ich, diesmal bestimmter, aber genauso kraftlos. “Erzählt mir etwas von dem Leben hinter den Mauern”, bat ich sie.

Meine Zofe lächelte, doch es wirkte traurig. “Es war einmal ein kleines Mädchen namens Alessa. Sie war zwar arm, aber ihr Herz war frei …”

© Lena Nausch 2022-04-23

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