Zusammengekauert saß der Gefangene in der Ecke seiner Zelle. Den Geruch nach Schweiß und Fäkalien nahm er schon gar nicht mehr wahr. Einzig sein unregelmäßig auftretendes Gekicher und die schweren Schritte der Wachen auf dem Gang unterbrachen die Stille in den Kerkern. Sein ehemals prächtiger weißer Bart zeigte sich verfilzt und schmutzig. Die früher muskulöse, eindrucksvolle Gestalt war abgemagert und dürr. Er war nicht mehr derselbe Mann wie vor einem Jahr. Unverständnis plagte seinen Verstand. Warum hatten sie ihn weggesperrt? Er hatte doch nur Gutes im Sinn, so wie die Stimme es ihm aufgetragen hatte. Anfangs hatte er sich gegen die Stimme zu wehren versucht, doch bald hatte er die Logik hinter dem Ganzen erkennen können.
Aber da war er der Einzige. Verbündet hatten sie sich gegen ihn. Selbst Jene, denen er am meisten vertraut hatte, hatten sich von ihm abgewandt. Doch die Stimme in seinem Inneren hatten sie nicht zum Schweigen gebracht. Auch hier in der Gefangenschaft war sie immer noch da. Und mit jedem Tag wurde sie stärker.
Sie sprach von einer neuen Zeit, von einem Gefängnis, das brüchig werden würde. Der Gefangene ahnte, dass seine Freiheit zum Greifen nah war. Dann, ein lautes Scheppern, als eine Schockwelle durch die Gänge fegte und die Wachen zu Boden schleuderte. Um den Gefangenen bildete sich eine Kugel aus dunklem Rauch, welche ihn scheinbar vor der Wirkung schützte. Die anderen Insassen verursachten einen Höllenlärm, Befehle wurden gebrüllt, Waffen gezogen. Und die Tür zu seiner Zelle stand offen, während der Schockwelle ein Erdbeben folgte.
Zögernd, wie ein Tier, das eine Falle wittert, näherte sich der Gefangene der Tür und lugte hinaus. »Vertrau mir. Ich führe dich. Sei mein Krieger und sprenge die Ketten dieser Welt!« Da war sie wieder. Die Stimme. Und als sie in seinem Kopf ertönte, spürte er Macht in seinem Inneren. Stärke, die er zuvor niemals besessen hatte. Und er sah vor dem geistigen Auge einen Ort. Dahin wurde er geschickt. Ein breites Lächeln entblößte ein beschädigtes Gebiss, welches seine ursprüngliche Form annahm. In seinen Körper kehrte die alte Kraft zurück, die Zeichen der Gefangenschaft waren wie weggefegt. Er war bereit.
Er trat hinaus auf den Gang und sah sich zwei Wachen gegenüber. Zuerst verwirrt ob seiner Gestalt, erinnerten sie sich doch an ihre Pflicht und stürmten nach vorne. Aus den Augen des Gefangenen ergoss sich schwarzer Rauch, der sich in seinen Händen sammelte. Instinktiv wusste er, was zu tun war, riss die Hände nach vorne und die Wachen wurden von dem Zauber nach hinten geschleudert, als der Rauch sie erreichte. Macht. Sie erfüllte ihn. Erneut bildete sich eine Kugel um ihn, zerrte an seinem Leib, und als der Rauch sich lichtete, war von dem Gefangenen nichts mehr zu sehen.
© Benjamin Gründinger 2022-05-29