Ignorierter Nachwuchs

Jamal Tuschick

von Jamal Tuschick

Story
In der Gegend von Philippsthal an der Werra im osthessischen Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Adem riecht nach Garibaldi von Abbate Y La Mantia, seine Frisur ist von Meisterinnenhand. Molina Beretta, Enkelin eines Geschäftsfreundes von Luciano Montana, gibt der erfolgreichen Integration ein Gesicht. Sie führt den Salon Latin Lover in der Frankfurter Straße.

Ohne Voranmeldung geht nichts. Als Kunde muss man sich hochdienen, Geduld haben und Zeit mitbringen. Wer bei Molina ein Stein im Brett hat, darf vorbeischneien, sich nach dem Befinden der Familie erkunden, einen Caffè trinken, eine Zigarette im Laden rauchen und sich endlich Molinas Gestaltungswillen ergeben.

Adem passiert den seit Ewigkeiten verrammelten Eingang der Bahnhofsgaststätte. Die Drehscheibe war in seiner Jugend ein Geheimtipp für World’s End-Stimmungen wie in den Filmen von David Lynch und Jim Jarmusch. Amerikanische Soldaten wirkten stilbildend auf Schüler. Ab und zu gab Adem da den Zaungast. Man war freundlich zu ihm in der Jim-Beam-Höhle. Die lokalen Schluckspechte ignorierten den Nachwuchs in ihrem Revier. Ihnen war alles recht, solange die Spritpreise nicht stiegen.

Die Amerikaner verbesserten die Performance deutscher Rocker. Sie gaben Nachhilfeunterricht in Lässigkeit. Viele waren in Fulda und in Hersfeld stationiert. McPheeters Barracks hieß das Barackenkonglomerat in Bad Hersfeld, das die US Army von 1945 bis 1993 nutzte. Niemand unterrichtete die GIs in hessischer Landesgeschichte. Sie wussten nicht, wo sie gerade verloren gingen oder anderen rieten, zügig abzuhauen. Keine Ahnung hatten sie, dass Fulda zum Herzogtum Ostfranken gerechnet und 1114 zum ersten Mal als Stadt erwähnt worden war.

In der Bahnhofsstraße versucht ein Inder sein Glück mit einem Internetcafé. Er kommt zu spät. Genauso gut könnte er einen Telefonladen aufmachen oder ein altes Tabak Trafik wiederaufleben lassen, dass in den 1990er Jahren an dieser Stelle den Betrieb eingestellt hat, weil es keine anspruchsvollen Raucher mehr gab.

Adem erinnert Liebhaber exotischer Marken, die mit Zigarrenkisten und Zigarettenstangen aus dem Laden kamen, um auf dem Trottoir in ein Gespräch verwickelt zu werden, dass sich garantiert an den beiden großen Themen Geschäft und Familie entzündete. Ihre Respektabilität stand außer Frage. Damals verbaute man Naturstein und der letzte Schrei war ein in einem gestuften Rahmen tiefliegendes Wohnzimmer voller Bäume in Kübeln.

Adem hat sich in Indien umgesehen. Eine Weile trieb ihn die Idee an, im Ausland zu expandieren. Doch schließlich empfahl sich der Fabrikant von Schuhbodenteilen: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Er betritt den Laden, von Neugier wie an einer Schnur gezogen. In dem ursprünglichen Verkaufsraum stehen gebrauchte Einrichtungsgegenstände wie auf einem Trödelmarkt. Die Kasse ist verwaist. In den Regalen hinter dem Schalter stecken Süßigkeiten, die Adem noch nie gesehen habe. Die Leute an den alten Rechnern in dem Raum, der früher das Lager war, gehören vermutlich zur Familie.

© Jamal Tuschick 2024-05-01

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
Hashtags