Ihr Name bleibt

Julia Gaiswinkler

von Julia Gaiswinkler

Story

Ihr Name ist Lotta. Sie ist mein MĂ€dchen, meine Tochter. Groß ist’s gworden. Raus hat’s wollen. In die weite Welt hinaus. Wie ich sie vermisse, meine Lotti. Aber bald kommt sie ja wieder Heim. Dann lass ich sie nicht mehr los, nein, nein.

Ach Lotta, wo bleibst du denn? Hast du mich vergessen? Ich wusste, dass die große weite Welt dich verschlingt, dich mir entreißt und dich mir nimmt. Aber so schnell schon? Ach Lotti, wo bleibst du bloß.

Meine liebe Lotta, ich schreibe diese Zeilen, weil du ja sonst nicht mit mir sprichst. Du fehlst mir unertrÀglich. Mein MÀdl, wie schnell nur ist die Zeit vergangen. Ich hoff es ist dir gut ergangen? Liebes Lotterl, Lieselotte, so schreib mir doch.

Hallo Lotta, ich bin’s wieder. Freut mich, dass es dir so geht. Du scheinst ja regelrecht zu strahlen. Welch GlĂŒck das ist fĂŒr meine Seel. Ach Lotti, meine Lotta, wirklich, ich freu mich. Ich denk, er ist der Richtige fĂŒr dich.

Hallo, ich bin Lotta, Lieselotte, eigentlich. Schön, dass wir uns kennenlernen. Ich denk, das wird was Schönes werden. Ach Mama, ich sag’s dir er ist toll. Schön und smart und lustig obendrein. Ich könnt wirklich nicht glĂŒcklicher sein. Wie ich mich freu aufs Wiedersehen.

Wie schön es ist, dass wir uns kennen. Wie bitte? Fortan soll ich dein mich nennen? Ach, wie ich mich freue. Fortan soll ich dir gehören. Ja, werd ich sagen. Du und ich, ich und du. Wir heißt’s, wenn sie fragen.

Mama, ich fĂŒrchte mich. Was bleibt denn noch von mir, wenn ich sein bin? Wer bleibt, wenn zwei zu einem werden? Hab ich einen Fehler gmacht? Nein, das sicher nicht. Jeder hat doch schlechte Tage. Geh bitte, die finstren ZĂŒge, die vergehen, sagen mir die andern. Stell dich nicht so an, das bildest dir nur ein.

Ich hab gesagt er soll verschwinden. Schnell und fort, hab ich gesagt. Ich hab so Angst, Mama. So viel Angst. Geh, bitte, hab ich gesagt. Er ist geblieben. Grantig ist er gworden. Richtig wĂŒtend gar. Geh bitte, was fĂŒhrst dich so auf, hat er gesagt. Mama


Liebes Lotterl, komm nach Haus. Ich bitte dich, ich hol dich auch da raus. Hör nicht auf die andern. „Geh bitte, das bildest du dir ein. Stell dich nicht an, bist ja schließlich sein.“ Nein, nein, dem ist so nicht mein Kind. Ich bin da fĂŒr dich, aber bitte, Lotta komm nach Haus.

Lieselotte. Lotta. Lotterl. Mein Kind, meine Tochter. Mir fehlen die TrĂ€nen, schlicht die Worte. Bitte Lotterl, komm wieder zurĂŒck. Bitte Tochter, steig aus dieser Kiste und setz dich her zu mir. Was bleibt denn nun von dir, warst du zum Schluss doch gĂ€nzlich sein. Das kann wohl nicht die Wahrheit sein. Nein, nein, nein.

Geh bitte, sagten sie. Was stellts euch so an, gibt doch keine Differenz zwischen Frau und Mann. Geh bitte, sagen‘s immer noch, obwohl der Tod in so vielen schon emporkroch.

Und so bleibt ihr Name Lotta. Sie war und bleibt mein MĂ€dchen, meine Tochter. Sie wollt raus in die Welt. Und die Welt hat sie mir genommen. Nein, nicht die Welt, nein, nein. Er war’s. Und sie Fall Nummer 22.

© Julia Gaiswinkler 2021-10-26

Hashtags