von S G-R
Aus dem Horizont stieg die glühende Quelle des Lebens empor. Verjagte die Finsternis auf den Wellen, trieb sie in unerforschte Tiefen zurück. Samron lag an der Westküste Ziraels, früher eine kleine Hafenstadt, heute ein Schmelztiegel der Kulturen. Ein aufgeblähter, riesiger Moloch, die größte Stadt der Welt. Alle Straßen vor Samron flossen zu einer hunderte Meter breiten Allee zusammen, die bis zum monströsen Stadttor reichte. Im Schatten der Bäume türmten sich Dreckhaufen. Rückstände, die nicht mehr vor Sonnenaufgang beseitigt worden waren. Breite Kutschen, laute Händler und müde Reisende schoben sich dem Tor entgegen. Die sengende Sonne im Rücken. Eine morgendliche Brise erhob hunderte Zeltplanen außerhalb der Stadtmauern, die an beschmutzte Leichentücher erinnerten. Unter ihnen ragten abgerissene Baracken wie Gerippe empor. Gleich einem zertrümmerten Skelett reichten die Überreste bis zum zugemauerten Gebirge: den Schädelknochen. Im Licht der Sonne flammten die Gipfel der Berge als feuriger Kranz auf. Funkelten grimmig und ragten gleich einer Krone empor. Eine von schwarzen Löchern durchfressene Krone. Ein Reich, dessen verfaultes Inneres nach außen triefte. Die längst verwaisten Goldminen waren heute Zuflucht für alle Verstoßenen, Verurteilten und Gejagten. Dort regierten brutale Banden, Rauschgifte verwandelten Menschen in Monster und es gab Gerüchte über Stimmen in den uralten Schächten. Wie jeden Morgen verfingen sich einige Planen an den spitzen Steinen des kargen Gebirges. Andere wehten über den leblosen Gebirgszug, begleiteten Massen von in Lumpen gehüllten Gestalten auf ihrem Weg zum Stadttor. Die Planen sanken an den massiven Stadtmauern kraftlos zu Boden. Hinter den Mauern erhoben sich Hochhäuser aus Holz und Stein. Mit kaputten Fassaden, durch die man Kinder wie Kranke sehen konnte. Offene Baustellen, offene Wunden. Wäsche, die man über aus dem Stein ragenden Eisenstangen spannte, bunte Gemälde, die das triste Äußere überzogen.
Die breite Hauptstraße mit den sechs Götterstatuen trennte Samron in zwei Hälften, Norden und Süden. Im Norden türmten sich marode Hochhäuser wie eingepferchte Riesen an Samrons Nordmauer. Steinerne Wohnblöcke und Kasernen umschlossen das Viertel wie Mauern. Zum Hafen im Osten hin wurden die Häuser kleiner, schmiegten sich aneinander, bis sie sich zusammengepresst gegen Samrons Hafenmauer quetschten. Hier waren die Zimmer so klein, dass man meistens nur darin schlafen konnte. Aufrecht, fast schon wie in einem Sarg. Menschen verließen mit dem ersten Licht des Tages ihre Häuser, schwemmten alle Straßen auf dem Weg zur Arbeit. Bis auf das Viertel um die maroden Hochhäuser blieb es friedlich. Dort hüllten sich Horden hustend in dreckige Fetzen. Starrten aus eingefallenen, ausgemergelten Gesichtern mit weit aufgerissenen, blutroten Augen. Manche bettelten mit ihren fast schon schwarzen Zähnen, andere krochen oder wankten auf einen zu, wild wie tollwütige Tiere. Der bestialische Gestank zeugte von den kaputten Aquädukten. Er vermischte sich mit dem beißenden Geruch brennender Rauschgifte, Erbrochenem, Urin und weiteren. Das war Samrons Norden, schlicht das Abrissviertel genannt.
© S G-R 2024-03-08