III – Hundescheiße und Lebenslust

Philipp Hellwig

von Philipp Hellwig

Story

Kennt ihr diese Momente, vielleicht auch längere Momente, in denen ihr keine Kontrolle über das habt, was ihr sagt, aussprecht und tut? Ich rede nicht davon, dass ihr seltsame Sachen macht oder unkontrolliert um euch schlagt, ich rede mehr davon, dass ihr Spielball des Universums seid und dieses euch das mit voller Wucht zu spüren gibt. So ungefähr muss ich auf jeden Fall das beschreiben, was nach meiner Begegnung mit dem Mann im Hotelbistro passierte. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich mich schon vollends davon erholt habe. Der Nachmittag dieses Tages kam wie ein Nebel und es ist so, als waberte das Erlebte, wie Nebelschwaden, immer noch etwas durch meinen Kopf.

Es fing damit an, dass ich den stehengebliebenen Aktenkoffer mit nach Hause nahm. An einem feuchtkalten Dienstagnachmittag war das. Ich habe mich nicht getraut in den schnörkellosen, billigen Aktenkoffer zu schauen, aber mehr als ein paar Bögen Papier mochten nicht darin gewesen sein. Der Koffer war also ziemlich leicht und ich legte ihn neben mich auf den Beifahrersitz meines älteren Audi A3. Ich fahre dieses Auto gerne, denn es ist unauffällig, günstig im Unterhalt, trotzdem irgendwie hochwertig und man muss sich keine Sorgen machen, dass etwas kaputt geht. Ich finde, dieses Auto passt sehr gut zu mir.

An jenem Tag legte ich also den billigen schwarzen Aktenkoffer auf die dunklen Ledersitze meines Audis und fuhr nach Hause. In den fünfundzwanzig Minuten, die ich mich durch die Stadt schälte, musste sich etwas verändert haben, ich konnte es zu diesem Moment allerdings noch nicht wahrnehmen. Nicht nur, dass es aufgehört hatte zu nieseln und langsam, aber sicher der Frost in der Stadt Einzug hielt. Die Schnellstraße sah aus wie an jedem anderen Tag. Der Verkehr war eher durchschnittlich und die Ampelphasen ebenso. Auch die tristen und grauen Wohnblöcke im Hintergrund sahen aus wie immer. Sie drohten durch unendliche Stummheit und rohe Präsenz die Stadt mit ihrer Anonymität zu verschlingen.

Auch an meiner Straße war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Die Bürgersteige wirkten sauber, aber man sah ihnen ihr Alter an. Dünner Rauch stieg aus dem Schornstein der Tierhandlung und des Gemüsemarktes vor meiner Haustür auf. Mein Autoradio spielte irgendeinen Song von Metronomy, doch das Signal war ziemlich unscharf. Vielleicht hatte irgendjemand in der Nacht meine Antenne abgebrochen.

Dass mir das jetzt erst auffiel, wunderte mich etwas. Naja, wenn man mit den Gedanken woanders ist, dann kann man schon mal kleine Dinge übersehen. Ich fand einen Parkplatz und stieg aus. Es war wirklich kalt draußen und die schneidende Luft fuhr unter meinen Mantel. Als ich den Fuß aus dem Auto setzte, knirschte es komisch. Ich sah nach unten und bemerkte, dass ich voll auf Hundescheiße getreten war. Gefrorene Hundescheiße. Das Gute am Winter ist doch, dass auch die Hundescheiße einfriert. Nicht nur unsere Köpfe, unsere Körper und unsere Lebenslust.

© Philipp Hellwig 2022-08-09

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