von FräuleinSara
Irgendein Wochentag, morgens, am Küchentisch. Um diese Uhrzeit war ich früher längst im Büro am Schreibtisch. Jetzt sitze ich im Schlafanzug vor meiner halb vollen Kaffeetasse und starre aus dem Fenster. Der Himmel ödet mir ein fades Grau entgegen. Der Tag weigert sich, hell zu werden – ähnlich verhält es sich mit meiner Motivation, diesen Tag zu beginnen. Beginnen, ja, aber womit? Alles erscheint öde, trist, sinnlos. Ich will einfach hier sitzen, gelangweilt aus dem Fenster sehen, das aufkeimende Unwohlsein meines ungeduschten Körpers wahrnehmen und in einer Mischung aus Selbstmitleid und Lethargie baden. In Wahrheit habe ich einfach keinen Plan gerade, und entgegen meiner eigenen Erwartungen fühlt sich ein leerer Tag ohne Termine und Aufgaben alles Andere als gut an.
Noch vor wenigen Wochen waren meine Wochentage Arbeitstage. Arbeitstage, die einem Dauerlauf glichen, zugepflastert mit To Dos, Terminen und einem ewigen Behauptungskampf. Ein Jahr zuvor schlug an einem Montagmorgen die Nachricht vom plötzlichen Führungswechsel wie eine Bombe bei mir ein: Schlaganfall. Den ersten Schock ringe ich mit blindem Aktionismus nieder. Ein Versuch, die Ordnung wieder herzustellen, ein Versuch, dem hilflosen Schockgefühl handelnd entgegenzutreten, ein Versuch, professionell statt emotional zu reagieren. Es muss weitergehen, heute noch. Aufgaben müssen neu zugeordnet, Kollegen und Führungskräfte informiert, Befugnisse umverteilt werden. In den folgenden Wochen und Monaten bleibt kein Stein auf dem anderen. Bald wird mir klar, das ist kein gutes Umfeld für mich. Ich harre dennoch aus. Monatelang. Neulich hatte ich ja schließlich noch richtig Freude an meinem Job. War in meinem Graswurzelprojekt das Thema Nummer eins in unserem Unternehmen. Habe mich im Zuspruch und Erfolg gesonnt. Von diesem Höhenflug meines Egos muss ich mich Stück für Stück verabschieden. Und erkennen, was der Erfolg auch mit mir gemacht hat. Wieviel Raum mein „höher, schneller, weiter“-Projekt in mir eingenommen hat. Und wie tief und gnadenlos der Fall ist.
An diesem namenlosen Wochentag sitze ich also am Küchentisch und muss mir eingestehen, dass ich das verlernt habe: Das Einfach-zufrieden-sein, das Gücklichsein aus mir selbst heraus. Ich habe also einen Kater von meinem Höhenflug, meinem Erfolgsrausch, der mit einem plötzlichen Absturz so abrupt endete. Und bei diesem Bild muss ich lächeln. Ich habe mich also verführen lassen, bin ikarusmäßig in sonnigen Höhen geflogen und habe mir ordentlich die Flügel verbrannt. Hallo Ego, nett deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Danke für diese Lebenslehre. Und jetzt, jetzt gehe ich erstmal duschen…
Fräulein Sara
© FräuleinSara 2023-01-24