Im Angesicht des Todes ist man am lebendigsten.

Im Sommer 2018 besuchte ich meinen Cousin in Brasilien und lernte mal eine andere Seite des Lebens kennen. Er wohnte etwas abseits der Innenstadt, sodass es einer kleinen Talfahrt glich, wenn man mit dem Fahrrad den Weg zur Innenstadt auf sich nahm. Da er an diesem heißen sonnigen Nachmittag noch ein paar Sachen aus der Stadt besorgen musste, begleitete ich ihn und konnte so gleichzeitig etwas von der Gegend aufschnappen. Obwohl wir ziemlich schnell auf dem Fahrrad unterwegs waren und die frische Brise die Haut kühlte, glühte die Sonne trotzdem auf meiner Haut und ich merkte, dass die Sonne sich hier ganz anders anfühlte, als in Mitteleuropa.

Die Fahrt auf dem Fahrrad mit meinem Cousin auf den staubigen Straßen von Brasilia gehört wohl zu den unvergesslichsten Erfahrungen, die ich in diesem Urlaub gemacht habe. Es war eine Mischung aus Komödie(Idiotie), Adrenalin, Risiko und vor allem Freiheit. Die Fahrräder waren nicht in einem tragbaren Zustand, das Fahrrad von meinem Cousin gab sogar ab und zu den Geist auf und die Kette sprang raus. Es konnte somit ja nichts schiefgehen.

Mein Cousin sagte mir, dass wir, wenn wir im Straßenverkehr sind, nie zögern dürfen und auch sonst nie darauf hoffen können, dass die Autofahrer aufpassen oder Rücksicht nehmen. Der Weg bestand hauptsächlich aus Kreisverkehren mit teilweise 30 Fahrzeugen, bei denen kein Autofahrer stoppt. Der erste Kreisverkehr war für mich der Schlimmste. Doch als ich sah, wie mein Cousin losfuhr, ohne einen Funken Angst zu haben, folgte ich ihm auch, ohne nachzudenken. Es fühlte sich unbeschreiblich an, in Anbetracht des immer auflauernden Todes, dem Tod knapp zu entkommen. Doch natürlich kam es wie es kommen musste.

Mitten im Kreisverkehr, beide radelnd auf Höchstgeschwindigkeit, sprang die Kette von meinem Cousin raus. Obwohl es brandgefährlich war, konnte ich in diesem Moment mein Lachen nicht mehr zurückhalten, mir kamen sogar die Tränen vor Lachen. Die hupenden Autofahrer fanden das natürlich nicht lustig und ich weiß auch nicht mehr, wie genau es mein Cousin geschafft hat, dies unbeschadet zu überstehen, denn er reagierte blitzschnell im Eifer des Gefechts, warf das Fahrrad auf die Verkehrsinsel und sprang, bevor die Autos kamen, in Sicherheit. Ich lachte immer noch weiter und auch mein Cousin fing an zu lachen, auch wenn er etwas sauer war, da er eingekesselt auf der Verkehrsinsel stand.

In diesem Moment fühlte ich mich befreit. Ich war frei von Sorgen, Problemen und jeglicher Negativität. Ich meine, es gab ja auch keine Sekunde Zeit dafür, um sich darüber Gedanken zu machen. Es gab nur mich, meinen Cousin, die verrückten Autofahrer und die trockenen staubigen Straßen, jede Sekunde rauscht man am Tod vorbei und nach jedem Mal fühlte man sich lebendiger. Es hätte vieles schiefgehen können, aber in jeder dieser Minuten war mehr Leben, als in den meisten Jahren meines Lebens zuvor.

Da ist was dran, wenn man sagt: >>im Angesicht des Todes ist man am lebendigsten<<.