von Jana Kistner
Das Flugzeug beschleunigte und sie wurde tief in ihren Sitz gedrückt. Draußen prasselte der Regen gegen die Fenster und ließ die Sicht verschwimmen. Sie schloss die Augen und wartete, bis sie es spürte: den kurzen Moment der Schwerelosigkeit, als das Flugzeug endlich abhob. Sie atmete hörbar aus und öffnete die Augen wieder. Normalerweise mochte sie dieses Gefühl des Abhebens, das Wissen, dass es jetzt kein Zurück mehr gab, nur noch ein Vorwärts, ein Aufwärts, doch diesmal konnte sie es nicht so richtig genießen. Vielleicht, weil sie wusste, dass sie diesmal nicht länger allen etwas vormachen konnte. Nun musste sie allen von ihrem Scheitern erzählen.
Es war bereits dunkel und die Lichter der Stadt unter ihnen wurden immer kleiner, je höher sie stiegen. Die Luft war kühl und sie zog sich einen Pullover über, stellte die Klimaanlage über ihrem Sitz aus und rieb sich den Nacken. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her, auf der Suche nach einer bequemen Position. Das Problem: es gab keine bequeme Position im Flugzeug, egal, wie sehr man sich bemühte. Als sie den Blick ihrer Sitznachbarin bemerkte, hielt sie in ihrer Bewegung inne. Sofort fingen ihre Wangen an zu glühen.
„Tut mir leid, das war rücksichtslos“, sagte sie.
Die andere Frau winkte ab, setzte sich die Kopfhörer auf und durchsuchte die Bordunterhaltung nach einem Film. Sie sah betroffen aus und sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie hatte mit ihrem Verhalten eine fremde Frau verletzt, dabei war das gar nicht ihre Absicht gewesen! Sie lehnte den Kopf gegen die Scheibe und schloss die Augen. Ihr Herz pochte bis zum Anschlag. Der Sitz neben ihr war frei, doch die Frau, die am Gang saß, war so dick, dass sie nicht einmal die Möglichkeit hatte, auf ihrem Sitz hin- und herzurutschen. Sie war eingeklemmt zwischen Armlehne und Vordersitz, zwischen Missbilligung und Mitleid.
Sie selbst kannte das nur zu gut: die missbilligenden Blicke, der mitleidige Ton. Auch, wenn es bei ihr um etwas ganz anderes ging. Ihre Ehe? Vorbei. Und das nach gerade mal vier Jahren. Kinder? Wohl erst mal nicht. Nie? Woher sollte sie das wissen? Dann der Versuch, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, um dem peinlichen Schweigen zu entgehen. Niemand, der sie fragte, wie es ihr damit ging. Niemand, zu dem sie sagen konnte: Um ehrlich zu sein, nicht so gut. Also blieb nur lächeln und beteuern, dass alles halb so wild sei. So wie die fremde Frau am anderen Ende der Sitzreihe es auch getan hatte. Auch, wenn es offensichtlich eine Lüge gewesen war.
© Jana Kistner 2023-08-08