von Andrea Weiss
Weil du nachgefragt hast …
Viele meiner Geschichten entstehen, während ich einen meiner ausgedehnten Waldspaziergänge mache. Ein Geräusch, ein Duft oder ein plötzlicher Gedanke – das Gehen trägt das Seine bei, dass die Gedanken fließen, sich Stichwörter, Sätze oder eine ganze Story im Kopf formen. Es gibt aber noch eine andere wichtige Inspirationsquelle …
Eigentlich ist in meinem Alter schon mit seniler Bettflucht zu rechnen. Mich aber treibt es nicht früh morgens aus den Federn, sondern es kommt immer mal wieder vor, dass ich am Abend lange keinen Schlaf finde. Ich bin müde, lege mich ins Bett und döse zwar weg, aber Morpheus geht auf Distanz. Mit möglichen Schuldigen dafür kann ich keinen klaren Zusammenhang feststellen – einmal ist es der Mond, ein anderes Mal der Kaffee nach 16 Uhr, anstrengender Sport am Abend, kein Sport den ganzen Tag lang, Weißwein zum Abendessen, oder, oder ….
Lavendel-, Melissen- oder Gute-Nacht-Tee, lauwarme Fußbäder und Schäfchenzählen können helfen, müssen aber nicht.
Wenn es wieder einmal soweit ist, wälze ich mich von einer Seite auf die andere, versuche es abwechselnd mit Bauch- und Rückenlage, versuche an etwas besonders Angenehmes und gleichzeitig Beruhigendes zu denken.
Dieser Zustand zwischen Schlafen und Wachen beschert mir seit einiger Zeit die besten Gedanken. Einmal ist es die Idee für eine neue Geschichte, einmal ist es der lange gesuchte brillante Titel zu einem bereits fertigen Text, der noch einer gebührenden Überschrift harrt. Wie von selbst formt sich der zündende Schlusssatz, der mir noch gefehlt hat, um einer Story den spannenden, erklärenden, offenen Abschluss zu bescheren, den sie verdient, die treffenden Synonyme fliegen mir nur so zu … und endlich … schlafe ich selig ein.
Am nächsten Tag muss ich meine genialen Ideen eigentlich nur noch in den Laptop tippen – aber wie war doch nochmal dieser gelungene Übergang zwischen zwei Gedanken? … und die gleichzeitig geheimnisvolle und doch alles sagende Überschrift? Der Clou aus dem Schlusssatz ist entschwunden, aber da war doch auch noch dieses besonders raffinierte Wortspiel im ausgeklügelten Einleitungssatz, der zwingend alle in den Text hineinziehen wird … alles weg! Ich plage mich, als ob ich all diese perfekten Gedanken nie gehabt hätte.
In Ausnahmefällen kommt es vor, dass ich statt einzuschlafen wieder so munter werde, dass ich das Licht einschalte und meine wunderbaren Ideen auf meinem Schreibblock notiere. Diesmal passiert es mir nicht, dass alles verschwindet!
Wenn es am nächsten Tag ans Abtippen geht, bleibt kein Stein auf … äh, kein Wort neben dem anderen. Da wird umformuliert, verworfen und neu gedacht.
Ausgeschlafen betrachtet bin ich im Halbschlaf nicht genial, sondern einfach nur müde …
© Andrea Weiss 2020-09-02