von Maria Oberhammer
“Bitte jetzt die Maske abnehmen…” Eine freundliche Schwester beugt sich über mich, in ihrer Hand meine Bestrahlungsmaske. Also die FFP2-Maske runter und die Maske mit der winzigen Nasen- und Mund-Öffnung rauf. Mein täglicher Schweigen-der Lämmer-Hannibal-Lecter-Auftritt besteht aus einer einzigen Aufgabe: ganz ruhig zu liegen und alles geschehen zu lassen. Behutsam nähert sich die feste Schale aus engmaschigem Kunststoffgitter meinem Gesicht, schließt die Augenlider und legt sich dicht um Wangen und Hals. Klick, klack, festgeklemmt! Mein Körper wird justiert, um Nuancen verschoben. Nach links und rechts, nach oben und unten. Die Position muss haargenau stimmen. Grüne Laserstrahlen treffen die schwarzen Markierungen auf meinem Oberkörper. “So, wir werden jetzt rausgehen und gleich starten.“
Langsam setzt sich der Linearbeschleuniger über mir in Bewegung, umrundet meinen Kopf in gleichmäßigen Rotationen. Helles Licht schimmert durch meine Lider. Es brummt, surrt und knackst. Für mich nicht spürbar, dringen die Strahlen ein, in meine Narbe am Hals. Dort, wo mir zum Sommerbeginn der Lymphknoten entfernt wurde. Der Tumor soll keine Chance mehr haben, sich zu verbreiten. In der Zerstörung liegt die Heilung.
Nach 9 Jahren ist der Krebs zurückgekehrt. Ein Rezidiv meiner Brustkrebserkrankung in Form einer Metastase am Hals. Zum Glück keine weiteren Metastasen im Körper!
Hinter “meinem” Strahlen-Pavillon L liegt der Pavillon 3. Immer wieder führen mich meine Schritte dorthin. Dann blicke ich hinauf zum Balkon mit den roten Pelargonien. Hinter den Fenstern der Station Barbara habe ich vor einem Jahr meine Mutter beim Sterben begleitet. Auch sie trug damals eine Maske, bekam Beruhigungsmittel und Morphium, bis sie sich ihrer Erlösung hingeben konnte. Einige Monate später erkrankte mein Vater an Covid und verbrachte 5 Wochen im Spital. Er hat es geschafft, trotz seines hohen Alters! Nach seiner Erkrankung schlitterte meine Tochter durch die vielen Lockdowns und einen Klassenwechsel in eine schwere Depression. Sie geht sehr offen damit um, darum kann ich es hier schreiben.
Damals, vor 9 Jahren, durfte ich eine wertvolle Erfahrung machen: In jeder Krise verbirgt sich eine Kraft, die Neues und Schönes auf die Welt bringen will. Daran glaube ich! Davon bin ich überzeugt! Das Jahr der Masken, es ist ein ganz besonderes!
Wenn auf meinem täglichen Weg zur Bestrahlung das bunte Herbstlaub im Sonnenlicht über den Gehsteig wirbelt, dann spüre ich, dass es gut wird… nein, eigentlich schon gut ist. Für so vieles in meinem Leben kann ich dankbar sein, jeden Tag! Denn nichts ist selbstverständlich. Auch nicht, dass mich die Schwestern am Schalter jeden Morgen so herzlich begrüßen.
Die Bestrahlung dauert nicht lange, gerade mal ein paar Minuten. “So jetzt kommt die Maske wieder hinunter. Sie können schon aufstehen. Dann noch einen schönen Tag.“ “Ja, danke. Ihnen auch! Auf Wiedersehen und bis morgen!”
© Maria Oberhammer 2021-10-21