Im Land der Rentiere

Maria Oberhammer

von Maria Oberhammer

Story
Schweden 2023

Wir sind in Lappland! Jedes Mal, wenn wir ein Rentier erblicken, bremsen wir uns ein. Diese großen, sanften Augen! Und wie die Tiere seelenruhig mitten auf der Fahrbahn spazieren und ihre Hufe dabei auf dem Asphalt klackern. Das ist eindeutig ihr Land!

Die Ureinwohner Lapplands, das sich von Russland und Finnland über Schweden und Norwegen erstreckt, sind die Samen. Die „Sámi“, Sumpfleute, kamen ursprünglich vom Uralgebiet nach Nordskandinavien. Heute bilden sie eine Minderheit. Rund 100 000 Einwohner mit samischem Einschlag schätzt man. Einige davon sind noch Rentierhirten und leben vom Verkauf der Fleisch- und Fellprodukte. Im Sommer streifen die Rentiere frei in der Wildnis umher, erst im Herbst werden sie zusammengetrieben. Nicht mehr mit Hunden und Skiern, sondern mit Motorschlitten oder Helikopter, mit Handy und GPS-Geräten. In den 1970-er Jahren begannen die Sami, denen es ähnlich erging wie der indigenen Bevölkerung Amerikas, um ihre Mitbestimmungsrechte zu kämpfen. So müssen ihre Stimmen heute von den Regierungen der jeweiligen Länder gehört werden. Das Sami Parlament „Sameting“ befindet sich in Norwegen in Karasjok, in Schweden in Kiruna und in Finnland in Inari. Die Sprache Samisch wurde offiziell anerkannt. Sie darf in Schulen unterrichtet werden, falls es Lehrer dafür gibt. Ihre Wurzeln hat sie in der finnisch-ugrischen Sprachfamilie. Allein für das Wort „Schnee“ finden sich über 100 verschiedene Begriffe.

Als Hans und ich in Kvikkjokk, am Rand des riesigen Sarek Nationalparks, rasten, treffen wir bei einer Wanderung durch den Wald immer wieder auf Personen, die in Wollkleidung und Lederschuhen unterwegs sind. Nicht in funktioneller Sportkleidung. Wir vermuten, dass es sich um Sami handelt. Ein Vater hockt in knielanger Stoffhose mit seinem kleinen Sohn auf einer Fellrolle mitten auf dem Weg, barfuß. Kurz darauf begegnet uns eine Frau in einem langen Wollkleid. In ihrem Gesicht spiegeln sich indigene Züge wider. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem Zopf zusammengebunden und um ihren schmächtigen Oberkörper ist ein Tragetuch gewickelt, aus dem das Köpfchen eines Babys hervorlugt. Wohin gehen all diese Menschen? Eine andere junge, blonde Frau mit Tramper-Rucksack, samt in Fell eingewickelter Gitarre obendrauf, klärt uns später auf. Sie kommt aus Belgien und hat eine fünfwöchige Tour durch den Sarek gebucht. Mit einigen Samis und Rentieren wird sie herumziehen. Dies sind die ersten Meter ihrer Reise. Ob sie wirklich so lange durchhält, weiß sie nicht, denn die Mücken hier, am Eingang des Nationalparks, sind eine wirkliche Plage. Auch wir haben bis jetzt noch nie so viele auf einem Fleck erlebt. Die Sami-Leute scheint das aber nicht im Geringsten zu stören. Hans und ich sind auf jeden Fall sehr froh, in unseren Bus flüchten zu können, doch selbst dort haben sich noch genug stechwütige Exemplare verschanzt. Im Herbst wäre es für unsereins sicher stressfreier, die schöne Wildnis des Sarek zu erkunden. Ganz ohne Mücken! (Sommer 2023)


 


© Maria Oberhammer 2024-02-21

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