Im Lüftungsschacht

Alex Busse

von Alex Busse

Story

Wenn man aus dem Nichts in einem Lüftungsschacht eingezwängt, ohne Verbindung zu seinem Sicherheitsseil zurück nach unten seinen Namen hört, hat man gefühlt nur drei Möglichkeiten. Schreien und in Panik geraten, schreien, in Panik geraten und so schnell wie möglich versuchen zurück zu kriechen oder schreien, noch ein bisschen mehr schreien, versuchen nicht in Panik zu geraten und weiterzugehen. Vielleicht lag es auch nur an den sechs Tassen Kaffee von heute Nachmittag, dass ich auf der Suche nach dem Ursprung meiner Tropfen auditive Halluzinationen habe. Wer weiß? Es sind schon seltsamere Dinge vorgekommen. Also versuche ich mich an letzterer Option und krieche langsam weiter. 22:00 Uhr fange ich an Zweifel an meiner Theorie von so weit kann es nicht mehr sein zu hegen. Vielleicht drehe ich mich auch nur ewig im Kreis und übersehe die Einstiegsluke, aber ist es nicht weiter geworden in dem Schacht? 

Um meine Effektivität beim Vorankommen zu optimieren, habe ich mir Ohropax in die Ohren gestopft, dass ständige Geflüster meines Namens ging mir ziemlich auf die Nerven und die Tropfen muss ich auch nicht mehr nur hören, da ich sie jetzt wie ein kleines Rinnsal vor mir sehen kann. Was mich wohl erwartet, wenn ich am Ursprung der Tropfen ankomme? Ich hab mir eigentlich noch nie wirklich überlegt, worauf ich treffen könnte. Ob die Tropfen von einem großen Fluss über uns herkommen, der hin und wieder über die Ufer geht und sich dann über, zwischen oder unter uns verteilt. Oder ein großer Sog, der kaputt gegangen ist und alle Tropfen, die fallen eigentlich nach oben befördern sollte. Ob es ein schöner Ort ist, da wo die Tropfen herkommen? Der Fleck auf meinem Block ist sicher schon getrocknet. Komisch, dass es den anderen nicht auch aufgefallen ist, die vielen Tropfen. Es hätte ja auch ein Wasserleck sein können.

Jetzt ist der Schacht aber definitiv weiter geworden. Statt zu kriechen, kann ich jetzt schon krabbeln. 23:00 Uhr, in einer Stunde wird das Gebäude für die Nacht verriegelt. Zurück schaffe ich es in der Zeit sicher nicht mehr, aber das ist nicht schlimm, am nächsten Morgen gehen die Türen ja wieder auf und außer einer unechten Zimmerpflanze wartet zu Hause keiner auf mich. In dem Schacht komme ich immer besser voran. Noch ein paar Abbiegungen mehr und ich kann schon fast stehen. Was für ein eigenartiges Lüftungssystem wir haben. Das Rinnsal hat sich schon zu einem fast 20 cm breiten Flüsschen an der rechten Schachtkante ausgeweitet. Hätte ich ein Papierboot dabei, könnte ich es direkt Segel setzen lassen. Ob es dann auf meinem Schreibtisch ankommen wird? 23:50 Uhr gleich setzt die Verriegelung ein. Ich spüre ein leichtes Ziehen in der Brust. Aber auch nur kurz, dann hört es auf und alles wird ganz still. Ich lösche das Licht meiner Stirnlampe, löse die schon lange leere Winde von meinem Gürtel und schlüpfe um die nächste Ecke. Gleißend weises Licht empfängt mich. 23:59:59 Uhr, der Security Mitarbeiter aktiviert die Nacht Verriegelung.  

 

© Alex Busse 2024-01-26

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
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