von SteffiW
Endlich erfolgt die Durchsage unserer Expeditionsleiterin Tina, die ich so sehr herbeigesehnt habe: „In der Nähe unserer Anlandungsstelle befinden sich 2 Eisbären!“
Mit zitternden Händen ziehe ich eine Jacke an, raffe Fernglas und Fotoapparat und eile aufs Außendeck. Von dort aus schaue ich auf die Anlandungsstelle vor dem 16 km langen Recherchegletscher.
Mein Herz schlägt schneller. Werde ich die Gelegenheit bekommen, zwei der rund 3000 Polarbären auf Spitzbergen zu beobachten? Zuerst fahren bewaffnete Mitglieder des Expeditionsteams mit den Zodiacs ans Ufer, um zu prüfen, wie sich die Tiere verhalten. Ziehen sie weiter? Kommen sie auf die Teammitglieder zu? Niemand weiß, was passieren wird. Doch nach einiger Zeit steht fest, dass sie uns nicht beachten. Wir dürfen an Land.
In der Uferzone instruiert uns das Expeditionsteam: Es ist nur gestattet, sich in dem durch die Eisbärenwächter abgegrenzten Areal zu bewegen. Ich lasse meinen Blick über das Gelände schweifen und gehe auf direktem Weg zum äußersten Punkt des gesicherten Bereichs so dicht an die Eisbären heran wie erlaubt. Ich möchte das größte Abenteuer meines Lebens vollends auskosten. Unterwegs entdecke ich immer wieder Abdrücke von Bärentatzen auf dem matschigen Boden. Ich schaudere.
Da sich die Bären in hunderten Metern Entfernung aufhalten, beobachte ich sie durchs Fernglas. Einer der beiden, ein kräftiges Tier mit gewaltigen Tatzen, steht vor dem Gletscher auf einer Eisplatte. Er frisst eine Robbe, der weiße Untergrund ist rot gefärbt. Plötzlich hebt der Eisbär den Kopf. Sein Maul ist blutverschmiert. Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Zu erleben, wie eines der größten Landraubtiere in freier Wildbahn seine Beute verspeist, lässt meinen Puls rasen. Solch eine Szene kenne ich nur aus Filmen, doch jetzt bin ich hautnah dabei. Mitten im Eisbärenland, fernab der Zivilisation und stets mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass aus einer anderen Richtung weitere hungrige Tiere auf Futtersuche auftauchen können und wir die Anlandung abbrechen müssen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich.
Leider vergeht die Zeit zu schnell und wir kehren zurück aufs Schiff. Was bleibt, ist ein einmaliges, unvergessliches Erlebnis, an das ich mein ganzes Leben zurückdenken werde.
© SteffiW 2021-01-24