Im Schatten des Mondes

Sonja Runtsch-Dworzak

von Sonja Runtsch-Dworzak

Story

Jetzt im Herbst leuchten am wolkenlosen Himmel die Sterne heller und sie scheinen der Erde näherzukommen. Ich gehe auf den Balkon hinaus, warmer Dunst strömt aus meinen Nasenlöchern, über meine Haut läuft kalter Schauer. Fröstelnd ziehe ich meine Jacke fest um mich. Ich spüre, wie meine Haare feucht werden von der Nachtluft. Was für ein Glitzern und Strahlen am Firmament. Ich kann mich kaum satt sehen. Weit vor mir ist der Lichtsmog der Stadt zu erkennen und aus der Ferne das Rauschen des Verkehrs von der Autobahn zu vernehmen. Oktober wie jedes Jahr im Herbst, Oktober eine Zeit der Erinnerungen, deren Bilder nur mehr Nebelstreifen sind. Jedes Jahr eine Beklemmung in mir. Es war eine klirrend kalte Oktobernacht, Reif lag auf den Wiesen, die Windschutzscheibe meines Autos vereiste sich und auf den Fenstern bildete sich Kondenswasser. Es war die Nacht, bevor ich in die Klinik zur Einleitung der Entbindung sollte. Dreißig Kilo hatte ich zugenommen, der Geburtstermin war seit mehr als zwei Wochen überfällig, das Kind hatte sich nicht gedreht. Obwohl ich damals noch bei meinen Eltern wohnte, fühlte ich mich irgendwie allein. Meine Eltern schliefen im Stock unter mir, ich wohnte in der Mansarde. Die Stunden schlichen dahin, ich konnte nicht schlafen, meine Gedanken drehten sich um das, was mich im Krankenhaus erwarten würde. Mein Schlafzimmer war vom Mondlicht hell erleuchtet, als sich eine Wolke langsam vor Frau Luna schob. Ich bemerkte es, weil Schatten auf mein Bett fielen. Gleichzeitig spürte ich ein Ziehen in den Lendenwirbeln. Mühsam setzte ich mich auf und schob mir einen weichen Polster in den Rücken. Das Ziehen ließ nach. Plötzlich setzten Bauchschmerzen ein, nicht besonders stark, aber sie hörten nicht mehr auf. Nun wurde ich doch stutzig. Ich entschloß mich, meine Mutter aufzuwecken. Schlaftrunken meinte sie, ich hätte noch alle Zeit der Welt, denn, wenn das Kind sich nicht gedreht hat, dann passiert auch nichts ohne Einleitung. Ich war ja in solchen Dingen unerfahren im Gegensatz zu ihr. Ich trabte wieder in mein Zimmer und wartete auf den Morgen. Und der kam schneller als gedacht. Vier Uhr Früh setzten die Wehen ein, mein Vater rief den Kindesvater meinen Partner an, sprang in seine Kleidung und wenige Minuten später raste er mit mir in die Geburtsklinik, wo der Kindesvater mich übernahm und mit mir auf der Bahre in den Kreissaal eilte. Zwanzig Minuten später klopften sich mein Vater und er stolz auf die Schultern, weil ein Junge das Licht der Welt erblickt hatte.

Zeitsprung vierzig Jahre später. Und nichts ist, wie ich oder man es sich erträumt hatte. Der Tod hat vor der Zeit meinen Partner geholt, gleich danach meine Eltern. Und der Junge…..ja der wollte seine Mutter nicht, er hat sie mit einem Kick in den Schatten des Mondes befördert, damit er ihren Kummer nicht teilen musste. Er ging und drehte sich nicht mehr um.

© Sonja Runtsch-Dworzak 2022-10-06

Hashtags