Im Stadtpark mit Thomas Bernhard

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Mein bester Freund schenkte mir zum Geburtstag die englischsprachige Ausgabe von „The Vienna Paradox“ von Marjorie Perloff. Das besondere an diesem Buch ist, dass die Autorin in Wien unter dem Namen Gabriele Mintz gelebt hatte und nach dem Exil mit ihrer Familie im Jahre 1938 in der U.S.A. (mit vorherigen Zwischenstationen) bald einen neuen Namen für sich annahm. Obwohl sie nur ihre ersten sieben Lebensjahre in Wien verbrachte, kann sie sich sehr gut an diese Zeit erinnern.

Als Literaturkritikerin ist sie bekannt geworden. Ihr Werk handelt dementsprechend auch von Büchern und wie sie ihre besonderen Beziehungen zu diesen schildert und die Werke interpretiert. Auf dem Weg in die Kundmanngasse las ich in ihrem Buch. Und kurz vor dem Aussteigen in der Station Rochusgasse war vom Haus Wittgenstein in der Kundmanngasse die Rede. Nach meinem Termin in einer Galerie suchte ich das Wittgenstein-Haus auf und machte auch Fotos. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hatte einst in Zusammenarbeit mit dem Architekten Paul Engelmann das Haus entworfen. Seit 1975 ist es in Besitz der Volksrepublik Bulgarien.

Marjorie Perloff liebt die Bücher von Thomas Bernhard. Sie schreibt ausführlich über dessen Werk „Wittgensteins Neffe“. Paul Wittgenstein war der vielleicht beste Freund von Thomas Bernhard gewesen. Ich beschloss, mir „Wittgensteins Neffe“ zuzulegen und begann bald darauf gut 30 Jahre!!! nach der letzten Lektüre eines Werkes von Thomas Bernhard darin zu lesen. Ich war fasziniert von der Sprache und den unzähligen Wiederholungen und Bekräftigungen, die diese kennzeichnen.

Noch ein Wort zu Marjorie Perloff: „The Vienna Paradox“ handelt auch stark davon, wie sehr sie nach wie vor (sie ist jetzt schon über 90!!!) mit Wien verbunden ist. Sie besucht in den U.S.A. gerne Kaffeehäuser, wo es auch Sachertorte zu essen gibt oder Ausstellungen, die an Wien erinnern. Eine Liebe zu Wien strömt aus ihren Zeilen. Sie erzählt von ihrer Familie, den Verflechtungen; von denen, die die Nazi-Zeit überlebt haben und von denen, die umgekommen sind.

Mit der Lektüre von „Wittgensteins Neffe“ war ich schon fortgeschritten. Ich hatte mir eine Ausstellung angesehen und dann entschieden, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Spontan entschloss ich mich, ein wenig im Stadtpark zu lesen. Auf einer Parkbank im Stadtpark sitzend las ich Thomas Bernhard und wie er davon schrieb, auf einer Parkbank im Stadtpark zu sitzen und sich über Paul Wittgenstein, seinen besten Freund, Gedanken zu machen. Er reflektiert über sein Verhältnis zu Paul Wittgenstein, wie er die Freundschaft einschätzt, wie wertvoll ihm der Freund ist. Paul Wittgenstein führte ein intensives Leben und war oft in der Psychiatrie. Der Zufall, den es ja eigentlich gar nicht gibt, hatte von Marjorie Perloff zu Thomas Bernhard und Paul Wittgenstein auf einer Parkbank im Stadtpark mit Thomas Bernhard sitzend geführt.

© Jürgen Heimlich 2022-04-23

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