Im Steinbruch der Verdächtigungen

Jamal Tuschick

von Jamal Tuschick

Story
Der Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen in den frühen 1980er Jahren

Dreimal rollt massives Eisen nicht reibungslos über eine Schiene, so viele Tore trennen die Außen- von einer Innenwelt. Ich fühle mich wie in einer Geisterbahn und unheilvollen Kräften so ausgeliefert wie noch nie in meinem Leben. Der Barkas (DDR-Transporter) wird auf einem geschlossenen Gelände bewegt, das steigert das Gefühl der Bedrohung. Ein geschlossener Raum nimmt ihn auf, hallende Akustik. Bis eben war es finster, nun blendet mich Flutlicht. Ich bin im Gefängnis, so viel steht fest. Ich komme in einen Raum zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Fingerabdrücke werden genommen, man fotografiert mich für die Verbrecherkartei. Ich muss das nicht ausmalen, jedes Kind kennt solche Szenen aus Filmen. Die Wirklichkeit riecht nach Schweißfuß. Ein Oberst setzt meine Vernehmung fort. Von ihm erfahre ich, dass Haftbefehl gegen mich erlassen wurde. Der Vorwurf ist in Paragraf 97 StGB-DDR geregelt – Spionage. Mich erwartet eine politische Justiz, gebunden an Weisungen der SED. In der DDR ist Recht & Gesetz ein Instrument der Partei- und Staatsführung. Man bringt mich in die Kleiderkammer, ich muss mich ausziehen und mich einer Leibesvisitation unterziehen. Unterwerfung wird vorausgesetzt. In der DDR-Knastphilosophie lebt der Zuchthausgedanke munter weiter. Der Eingeschlossene ist ein Ausgeschlossener der Gesellschaft. Menschen- und Bürgerrechte sind ihm zu verwehren. Im Grunde kann der Delinquent nichts entbehren, da er nichts mehr darstellt. Er hat die Stufe unter dem Haustier erreicht. Sein häuslicher Status markieren ein Trainingsanzug und Filzlatschen. Gebeugten Hauptes nehme ich die Kluft entgegen, um mich in ihr zu verwandeln. Ich kriege die Grundausstattung. Sie besteht aus Bettwäsche, Handtuch und Seife. Verwahrt werde ich in einer Einmannzelle in der Größenordnung von 4 x 2 Meter. Die Einrichtung erschöpft sich in einer Holzpritsche mit Schaumstoffauflage, einem Hängeschrank, einem Tisch und einem Hocker. Es gibt zudem ein Handwaschbecken und eine Toilette. Über dem Becken ist ein Spiegel im Fliesendekor so eingelassen, dass keine Kanten vorstehen. Über der Tür deuten Glasbausteine ein Fenster an. Der Abschluss ist total und in jedem Fall auch demonstrativ. „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“, lautet die Zellenansage frei nach Dante. Du gehörst dir nicht mehr. Ich knicke ein, für mich bricht die Welt zusammen.

Morgens um sechs springt das Licht an, man hat aufzustehen. Es folgt der Aufschluss. Brot und Tee werden durch die Klappe geschoben. Gegen acht führt man mich aus der Zelle über einen Gang und durch ein Treppenhaus in ein angrenzendes Gebäude. Es riecht nach Karbol. Ich sehe Türen, die sich von innen öffnen lassen, das ist eine Wohltat für die Augen. Man lässt mich vor einer Tür auf die nächste Vernehmung warten. Der Vernehmer will mit Oberleutnant angesprochen werden. Seinen Namen sagt er nicht. Ich fange an, den Vernehmungsmarathon als Arbeit zu begreifen. Wie alle gehe ich morgens zur Arbeit, ich arbeite von früh bis spät im Steinbruch der Verdächtigungen.

Morgens führt man mich aus der Zelle in einen Raum. Ich setze mich an einen Tisch, wechsele mit Glück drei private Wort, das Tonband läuft. Befragung bis zum Mittagessen um zwölf. Serviert wird in der Zelle, es folgt der Freigang in einem gemauerten Rechteck unter freiem Himmel. Auf einem Wehrgang patrouillieren Bewaffnete. Ich komme wieder in die Zelle und dann wieder in den Verhörraum. Entweder setzt der Vernehmer das Verhör fort oder man hört gemeinsam ein Tonband ab. Nach den Mitschnitten werden maschinengeschriebene Protokolle angefertigt, die ich unterschreiben muss.

Das Procedere wird in naher Zukunft kaum variiert werden. Morgens führt man mich aus der Zelle in einen Raum. Ich setze mich an einen Tisch, wechsele mit Glück drei private Wort, das Tonband läuft. Befragung bis zum Mittagessen um zwölf. Serviert wird in der Zelle, es folgt der Freigang in einem gemauerten Rechteck unter freiem Himmel. Auf einem Wehrgang patrouillieren Bewaffnete. Ich komme wieder in die Zelle und dann wieder in den Verhörraum. Entweder setzt der Vernehmer das Verhör fort oder man hört gemeinsam ein Tonband ab. Nach den Mitschnitten werden maschinengeschriebene Protokolle angefertigt, die ich unterschreiben muss. Eine Erweiterung ergibt sich nach ein paar Tagen aus der Möglichkeit, Briefe zu schreiben. Ich soll mir einen Anwalt nehmen. Man legt mir eine Liste mit vier Namen vor. Zum ersten Mal lese ich den Namen Gysi, er sagt mir nichts. Natürlich kenne ich Professor Vogel, den prominenten Protagonisten der Agentenaustauschaktionen auf der Glienicker Brücke. Barbara sprach manchmal von einem seiner Mitarbeiter, Rechtsanwalt Dr. S. Für mich steht außer Frage, dass Vogel oder einer seiner Leute mir am besten helfen können. Am 9. September schreibe ich zum ersten Mal an die Anwaltskanzlei Prof. Vogel und bitte sie um meine Vertretung vor Gericht. Am 12. darf ich die ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin schriftlich von meiner Verhaftung in Kenntnis setzen. Ich verbinde damit große Hoffnungen, bis dahin war ich förmlich verschollen.


© Jamal Tuschick 2025-02-02

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
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