Im Tattoo-Studio (Teil 3)

Phil_Humor

von Phil_Humor

Story

„Nadelstiche versetzen, ist eine Kunst.“ Das Bonmot lag irgendwie in der Luft, musste gesagt werden. „Wird das Pop-Art?“ wollte ich wissen, da der Hund anscheinend nicht wusste, wie er die Tätowiermaschine handhaben sollte; es sah sehr abstrakt aus. „Nur Mut“, redete ich ihm zu. Ich brauchte ihm ja nicht zu sagen, dass ich Cover-up-Motive im Sinn hatte – einfach ĂĽberdecken, was einem nicht gefällt; tolle Technik.

„Das steckt wohl in uns allen: Etwas sein zu wollen, was man nicht ist. Mit relativ wenig Aufwand kann man sich verändern – und das dauerhaft; einfacher als eine Persönlichkeitsveränderung. Tattoos haben etwas Magisches“, behauptete ich; mal sehen, ob er darauf ansprang. Immerhin ging es hier um sein Lieblings-Thema. „Der Zwang, etwas Besonderes sein zu mĂĽssen. Das GlĂĽck vermutet man nicht im Normalo-Bereich. Man muss auĂźergewöhnlich sein. Sich hervorheben; irgendwie muss man doch Selbstbild und Idealbild zur Deckung bringen können. Die Werbung meint, das ginge ĂĽber den Weg der Produkte. Man hangelt sich vom richtigen Produkt zum nächsten Produkt, was gesellschaftlich anerkannt ist und mit dem man gut dasteht. Man wird ein Produkt durch und durch.“ Dabei liebte ich Markenklamotten, was redete ich da? Ich wollte das Tier in mir provozieren; ich knurrte versuchsweise; der Hund sah mich erstaunt an. „Modern Primitive, Urban Primitive – ist ja ein ziemlicher Trend. GewissermaĂźen eine Art RĂĽckwärtsgang; noch weiter zurĂĽck als Neandertaler und Homo erectus. Auf den Spuren der Vorväter. ErgrĂĽnden, woher man stammt, was macht einen aus? Nicht immer nur fragen, wohin sind wir unterwegs? Sind wir bald da? Wie lange noch, bis wir da sind?“

„Das frage ich mich aber“, entfuhr es dem Tätowierer. Er wirkte fahrig – mochte an den Unmengen an Kaffee liegen, die er in sich hineinkippte; mir bot er nichts an.

So, das Tattoo war fertig, der Hund schien mit seiner Arbeit zufrieden; wir nicht ganz so.

„Ist er noch in der Ausbildung?“, fragte ich. Der Hund guckte schuldbewusst. „Ich komm dann in ein paar Monaten wieder fĂĽr die Cover-ups.“

„Eilt ja nicht.“ SchweiĂźperlen standen auf seiner Stirn.

„Vielleicht ist es auch die Sehnsucht nach einem Fell; man steht nackt in der Weltgeschichte, Fell-los; man möchte ein sichtbares Zeichen, eine sichtbare Barriere zwischen sich und der Welt.“

„Die wĂĽnsche ich mir zwischen uns beiden.“ Dabei war er schon in den hinteren Ladenbereich ausgewichen, hielt Maximal-Abstand.

„Der Hund ist zutraulicher“, meinte ich nur. Fehlte noch, dass er das Kreuz-Zeichen machte, als wäre ich ein herumlungernder Vampir. Ich bezahlte und ging; der Hund folgte mir. Vermutlich wollte er noch mehr vom Vortrag hören.

Der Tätowierer rief mir hinterher: „Behalt den Hund; er heiĂźt Tattoo; ich wandere aus. In irgendein Land, dessen Sprache mir fremd ist. Kunden, die in mir unverständlichen Idiomen Worte von sich geben – Worte, die meinen Verstand nicht erreichen und ihn nicht massakrieren!“ Er ĂĽbertrieb doch.

ENDE

© Phil_Humor 2021-11-15

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