von Sophia
âNo, oggi non te lo posso dare il tuo manoscritto, ce lâha il Monsignore Annibale.â
Der HĂŒter der SchĂ€tze des Vatikanischen Geheimarchivs spricht keine Fremdsprache.
Neugierig blicke ich mich um. Ich bin wie immer die einzige Frau im Lesesaal. Ein paar Jahrzehnte jĂŒnger als der Durchschnitt. Vorne sitzt der amerikanische Professor, der an Friedrichs Falkenbuch arbeitet. Dahinter Nicholas vor seiner unheimlichen alchemistischen Handschrift.
In der letzten Reihe entdecke ich Monsignore Annibale. SchlohweiĂ. KrĂ€ftig. So gar nicht vergeistigt. Vertieft in die Minuskeln auf den spröden PergamentblĂ€ttern, die mich seit Wochen in ihren Bann ziehen.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und spreche ihn an. Er lĂ€dt mich auf einen Cappuccino in die Kapelle ein. Wir spazieren durch den Garten der Vatikanischen Bibliothek und unterhalten uns stundenlang ĂŒber meine Handschrift.
Ich erzĂ€hle ihm, was ich selbst noch nicht so recht glauben kann. Dass ein Teil der Handschrift unveröffentlicht ist. Ein unglaublicher Text, entstanden in Jerusalem zur Zeit der KreuzzĂŒge. Um 1180. Noch erkenne ich seine Bedeutung nicht. Aufgeregt kehren wir in den Lesesaal zurĂŒck. Ich zeige Monsignore Annibale die Stelle und die altfranzösischen Glossen, die bisher niemand entziffert hat. Er ist begeistert.
An seiner Hand tut sich mir eine neue Welt auf. Er öffnet mir die TĂŒren zur Familie der Vaticana, wo man vorbehaltlos sein Wissen teilt. Auf alle meine Fragen hat er Antworten. Oder kennt Experten. Altgriechisch ĂŒbersetzt er, bevor ich noch die Buchstaben entziffert habe. Das groĂe Spiel der Ideen. Ich liebe ihn wie einen GroĂvater.
Meine Zwillingsschwester schleust er mit den Worten âĂ la mia fidanzata!â an der Schweizer Garde vorbei. Die Burschen feixen.
Fast zwei Jahre lang wird diese Welt zu meinem Zuhause und Monsignore Annibale zu meinem innig verehrten maestro. StĂŒck fĂŒr StĂŒck entlocke ich meiner Entdeckung ihre Geheimnisse.
âFanciulla, hai un grande dolore.â Er weiĂ um den verstörenden Anruf der MailĂ€nder SekretĂ€rin meines Liebsten. Sie hat ein VerhĂ€ltnis mit ihm. âSemel mendax, semper traditor!â sagt er und streichelt meine Wange. Ich weiĂ was zu tun ist.
Mein erster Artikel schlĂ€gt ein wie eine Bombe. Seine Heiligkeit der Kreuzzugsforschung bittet mich zum Tee in die British School und zu einem Kongress nach C. Kurz vor dem Kongress werde ich wieder ausgeladen. Eine Professorin der UniversitĂ€t wird ĂŒber meinen Fund sprechen. Weil er so wichtig ist. Und ich nicht vom Fach bin.
Als mein Buch erscheint, möchte ich das erste Exemplar in die HÀnde von Monsignore Annibale legen. Ihm danken. Ihm sagen, wieviel er mir bedeutet. Doch mein echtes Leben hÀlt mich fest in seinen Krallen. Ich verschiebe den Brief, die Reise nach Rom.
Dann ruft mich Mauro an. BeilÀufig erwÀhnt er, dass Monsignore Annibale gestorben ist. Ich kann nicht weiter sprechen.
Jahre spĂ€ter taucht der Name âAnnibale I.â auf einer Liste vatikanischer Freimaurer auf.
© Sophia 2019-04-11