Im Wald

Jana Schultz

von Jana Schultz

Story

Bedächtig schleiche ich durch den Wald. Das leise Rascheln der Blätter unter meinen Füßen führt mich mit jedem Schritt weiter ins Ungewisse. Ich sehe den Nebel schon von weitem, wie er da hängt, als wäre er eine undurchdringbare Mauer, die einen Schatz verbergen will.

Schritt für Schritt wage ich mich weiter nach vorne. Es wird bald dunkel, die Dämmerung hat schon längst eingesetzt. Die Bäume wiegen sich über mir im Wind. Sie wirken wie riesige Monster, die jeden Augenblick nach mir schnappen könnten.

Als die Wolken am Himmel ihr leises Versprechen halten und es regnen lassen, knöpfe ich meinen Mantel zu. Mir ist so kalt, ich hätte mich passender anziehen sollen. Eigentlich wollte ich ja aber nur kurz raus und ein bisschen für mich allein sein, da dachte ich, dass es schon nicht so kalt werden würde. Tja, wie ich mich geirrt habe.

Mein kleiner Spaziergang ist zu einer großen Wanderung geworden und das nur, weil ich mir ziemlich sicher war, hier irgendwo Stimmen gehört zu haben, die nach mir rufen. Ich will mir einfach nicht eingestehen, dass ich mir das nur eingebildet habe und jetzt bin ich schon seit mehreren Stunden unterwegs und suche den Ursprung der Stimmen. Mittlerweile weiß ich auch schon gar nicht mehr, wo ich überhaupt bin, aber irgendwie werde ich schon zurückfinden, so groß ist der Wald jetzt auch nicht.

Ich schreite durch die Nebelwand und sehe mich um. Irgendwie ist das alles hier schon ein bisschen spooky, aber was soll’s? Die Feuchtigkeit peitscht um mich, vom Wind angefeuert, wie eine leise Warnung, die ich gekonnt ignoriere. Ich will unbedingt sehen, was dahinter liegt.

Plötzlich stehe ich an einem kleinen See, den ich vorher noch nie gesehen habe. Das ist also der Ursprung des Nebels. Der Dunst steigt aus dem Wasser auf, kämpft sich an die Luft und verteilt sich dort, um ein großes Geheimnis zu hüten. Es ist so wunderschön, dass ich einfach nicht wegsehen kann.

Als sich dann auch noch einige letzte Sonnenstrahlen des Tages durch den Schleier kämpfen und das blaue Wasser beleuchten, ist das Bild perfekt. Ich wünschte, ich hätte eine Kamera dabei, diesen Anblick würde ich super gerne festhalten. Allerdings muss heute wohl mein Gedächtnis herhalten.

Nur mit Mühe kann ich mich von diesem Ausblick abwenden. Ich muss schnell wieder nach Hause, bevor es ganz dunkel wird, sonst finde ich den Weg erst recht nicht. Von nun an habe ich aber einen Ort, an den ich immer wieder zurückkehren werde, wenn ich meine Ruhe brauche. Hier wird mich wohl niemand so schnell finden.

© Jana Schultz 2024-09-10

Genres
Anthologien