von MISERANDVS
Eine Zeit lang habe ich die Gelegenheit genutzt, an unserem europäischen Austauschprogramm teilzunehmen. Da konnte man in einen anderen Mitgliedsstaat fahren und sich dort die Verwaltung ansehen. Die meisten hängten an die eine Woche noch eine weitere dran und machten Urlaub dort. Irland, England, Spanien, die Klassiker waren immer ausgebucht. Abgesehen von Irland reizte mich ansonsten kaum was. Ich sah die Liste durch, … Estland, Lettland, schau einer an. Ja, das ist meine Welt.
Kaum in Riga angekommen, ließ ich mich berieseln von den Vorträgen. Wenig Spannendes dabei. Ein gesamtes BIP, das ich mit einem meiner Netzwerkfälle reinholen könnte. Ich kämpfte gegen die Müdigkeit an, beschaute die schöne Vortragende. Sie war deutlich älter als ich damals. Vielleicht knapp am 50er dran, aber sehr attraktiv, sehr gepflegt, und ihrer Stimme mochte ich gern zuhören. Sie sprach ein schönes Englisch.
An einem der Tage wurden wir in ein ehemaliges Zaren-Domizil aufs Land gekarrt, wo wir übernachteten. Die weitläufigen Parks, die schönen Zimmer im alten Stil – das hatte schon was! Die illustre Runde gab sich am Abend dem Suff hin und versumpfte in einer wilden Party im Jakusie. Darauf hatte ich keinen Bock. Das Ambiente inspirierte mich, und so zog ich mich in den Salon mit den schweren Vorhängen zurück, orderte ein Glas Whiskey und tat, was ich immer unter Inspiration tat: Ich schrieb Gedichte in mein Buch, in die Ecke einer Chaise Longe gedrückt.
Mit einem Mal stand A*, die Vortragende, vor mir, bekleidet mit einem weißen Bademantel, drunter einen Bikini, die Haut tropfnass vom warmen Wasser. Ob ich denn nicht dazustoßen wolle, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf, trank einen Schluck. Sie nahm mir mein Buch aus der Hand, hockte sich zu mir, drückte ihren Körper an mich, schlug mein Buch auf und blätterte darin. Ich war etwas konsterniert über den körperlichen Überfall und schmunzelte, als ich sie blättern sah. “Als wenn du verstündest, was ich…”, und da las sie leise in perfektem Deutsch eines meiner Gedichte vor. Ich staunte nicht schlecht. “Das ist sehr schön.”, sagte A*, als sie meinen Arm nahm, und ihn um sich schmiegte. Sie legte ihre Beine hoch, gab mir mein Buch und sagte: “Lies mir eines vor. Ich möchte es mit deiner Stimme hören.” Und so las ich ihr eines meiner Gedichte vor, während wir aneinanderlagen. A* legte ihr Ohr an meine Brust, um meine sonore Stimme zu fühlen, und sie schmiegte dabei langsam ihre schönen Beine aneinander.
Die anderen kamen lärmend an, kicherten, als sie uns sahen. A* stand auf, sah mich an und sagte: “Ich fühlte, du würdest Gedichte schreiben, als ich dich zum ersten Mal sah.”
Weit nach Mitternacht klopfte es leise an meiner Tür. A* stand da, mit einem Nichts aus Seide am Leib, lächelte, drückte mich wortlos beiseite, trat ein, zog mich an den Fingern ins Bett und flüsterte: “Lies noch ein Gedicht für mich. Bitte!”
Und ich tat gerne, wonach es sie begehrte. Schließlich war ich Gast in ihrem Land.
© MISERANDVS 2021-06-18