von Petra Mundmann
Im Laufe der Jahre wurde sie immer stiller. Sie wusste, dass sie wirres Zeug redete, wenn sie etwas sagte. Also hörte sie einfach auf, mit uns zu sprechen. Das bedeutete auch, dass andere Menschen weiterhin nicht merkten, dass etwas nicht stimmt. Wenn sich jemand zurĂŒckzieht und sich einfach nicht am GesprĂ€ch beteiligt, wird dies nicht wahrgenommen.
Das Schöne an der Arbeit mit Demenzkranken ist, dass man Einblick in Ihre Welt bekommt, wenn sie reden, und viele reden aufgrund ihrer inneren Unruhe sehr viel. Das war leider bei Oma ganz anders. Sie redete immer weniger mit uns. Wenn sie dann mal redete, merkten wir, dass sie nicht mehr in der Lage war, einen grammatikalisch richtigen Satz zu formulieren. Wenn Leute zu Besuch kamen, sagte sie schlieĂlich gar nichts mehr. Sie guckte aber immer ganz interessiert und nickte zustimmend. Wenn jemand etwas erzĂ€hlt, lĂ€chelte sie immer. Daher fiel es âFremdenâ gar nicht auf, dass sie sich so stark verĂ€ndert hatte und keinen vernĂŒnftigen Satz mehr formulieren konnte.
Als sie nicht mehr redete, Ă€nderten sich auch die körperlichen Symptome. Dies fĂŒhrte zu mehrmaligen Krankenhausaufenthalten. Eine Ursache fĂŒr die Beschwerden konnte nicht gefunden werden. Bei einem weiteren Aufenthalt im Krankenhaus wurden wir erstmals auch auf einen möglichen Hintergrund dieser Symptome aufmerksam gemacht. Wir wurden gebeten, bei Fortbestehen dieser Symptome eher eine psychiatrische Klinik zu wĂ€hlen. Seitdem setzten wir uns bereits mit Demenz auseinander.Â
Es wurde in den folgenden Monaten immer schwerer, Oma zu fĂŒhren. Sie war sehr eigenwillig. SchlieĂlich konnte sie allein nicht mehr essen. Sie wurde einfach zu unruhig, um lĂ€ngere Zeit am Tisch zu sitzen. Die Kontinenz lieĂ immer mehr nach. Diese Zeit war die schlimmste wĂ€hrend der ganzen Erkrankungszeit. Mama konnte nicht mehr: Sie musste zum einen mit ansehen, wie Oma das Essen verweigerte und die Inkontinenz immer schlechter wurde. Im Herbst 1995 kam auch die nĂ€chtliche Unruhe hinzu. Oma stand jede Nacht mehrmals auf und verlieĂ ihr Bett. Mama und Opa bekamen keine Ruhe mehr. Mama war hĂ€ufig uns und Oma gegenĂŒber sehr gereizt. Sie tat mir so leid. Ich wurde daher zu der Zeit wĂŒtend auf Oma: Warum muss sie Mama so Ă€rgern? Wieso kann sie nicht auf Mama hören. Es war zu dieser Zeit noch nicht bei mir im Kopf angekommen, dass Oma doch eigentlich gar nichts fĂŒr ihr Verhalten konnte. Es war fĂŒr uns alle eine anstrengende Zeit und im Nachhinein ist es erstaunlich, wie lange wir dies ausgehalten haben.Â
Es gab Tage, an denen Oma sehr unruhig war. Sie lief nur noch auf und ab und ihre Atmung wurde dabei immer schneller und tiefer. Es schien immer, als wenn sie bald vor lauter Aufregung einen Herzinfarkt bekommen wĂŒrde. SpĂ€ter machten wir die Erfahrung, dass diese Unruhe ein Teil der Erkrankung ist. Unentwegte Bewegung fĂŒhrte zu Besserung. Eines Tages wurde es so schlimm, dass Mama sagte: âSo geht es nicht mehr weiter. Jetzt muss etwas passieren!â Nach einem erneuten GesprĂ€ch mit dem Hausarzt folgte am Mittag folgte die Einlieferung in eine gerontopsychiatrische Klinik.
© Petra Mundmann 2024-01-13