von Günther Stark
Die Ballade Nr. 4 f-moll op. 52, auf Youtube von Vladimir Ashkenazy, Kate Liu und Lang Lang (der sich vorab professionell die Nase putzt und die Finger knetet), ist die letzte von Frédérics vier Kompositionen des Genres. Er vollendet es 1842 nach seiner Rückkehr aus Nohent-Vic, woselbst seine Geliebte George Sand, mit der er auf Mallorca war, ihre Kindheit und Jugend verbrachte und einen großen Teil ihres Werkes schrieb. Zu Gast bei ihr in Nohant ist die ganze genialische Bagage: Liszt und Marie d’Agoult, Balzac, Chopin, Flaubert und Delacroix, der dort ein Atelier hat. Wie männiglich bekannt – so Heine in ‚Lutetia‘ –, ist George Sand ein Pseudonym, der Nom de guerre einer schönen Amazone. Bei der Wahl dieses Namens habe sie keineswegs die Erinnerung an den unglückseligen Sand geleitet, den Meuchelmörder Kotzebues, des einzigen Lustspieldichters der Deutschen. Unsere Heldin wählte jenen Namen vielmehr, weil er die erste Silbe von Sandeau; so hieß nämlich ihr Liebhaber, der ein achtungswerter Schriftsteller, aber dennoch mit seinem ganzen Namen nicht so berühmt werden konnte wie seine Geliebte mit der Hälfte desselben, die sie lachend mitnahm, als sie ihn verließ. Der wirkliche Name von George Sand ist Aurora Dudevant, wie ihr legitimer Gatte geheißen, der kein Mythos ist, wie man glauben sollte, sondern ein leiblicher Edelmann aus der Provinz Berry, und den er, Heine, selbst einmal das Vergnügen hatte, mit eigenen Augen zu sehen. Ich sah ihn sogar bei seiner, damals schon de facto geschiedenen Gattin, in ihrer kleinen Wohnung auf dem Quai Voltaire, und dass ich ihn eben dort sah, war an und für sich eine Merkwürdigkeit, ob welcher, wie Chamisso sagen würde, ich mich selbst für Geld sehen lassen könnte. Er trug ein nichtssagendes Philistergesicht und schien weder böse noch roh zu sein, doch begriff ich sehr leicht, dass diese feuchtkühle Tagtäglichkeit, dieser porzellanhafte Blick, diese monotonen, chinesischen Pagodenbewegungen für ein banales Weibzimmer sehr amüsant sein konnten, jedoch einem tieferen Frauengemüte auf die Länge sehr unheimlich werden und dasselbe endlich mit Schauder und Entsetzen, bis zum Davonlaufen, erfüllen mussten.
Frédérics Werk 1843 gilt aber einer andern schwerreichen Frau: der Baronin Charlotte de Rothschild. Der polnische Fürst Anton Radziwiłł hat Chopin ’32 beim Baron eingeführt, in dessen Salon er vor Mitgliedern des Adels spielen und so auch Schülerinnen aus recht vermögenden Kreisen an sich binden mochte. Als Zeichen der Anerkennung widmet er der Baronin seine letzte Ballade. Das Werk gehört zu seiner letzten Schaffensperiode, ausgezeichnet durch weiterentwickelte Klangmittel und höhere musikalische Komplexität. Auch dies Stück setzt sich von seinen Vorgängern ab, wirkt lyrisch-nachdenklicher und harmonisch vielfältiger. Im ultimativen Werk dieser Gattung verknüpft Frédéric unterschiedliche Formelemente wie den Sonatenhauptsatz, die Variation, das Rondo.
© Günther Stark 2022-11-13