„In allem ist etwas zu wenig“

Hermann Exenberger

von Hermann Exenberger

Story
Wien Jänner 2025

Abseits vom Konsumrausch und adventlichem Entzug

Jetzt könnten eigentlich wieder Tage kommen, in denen wir uns von der sogenannten „stillen Zeit“ langsam wieder erholen können. Ich kann nicht wissen wie es Ihnen damit gegangen ist. Mir ist es im abgelaufenen Jahr wieder nicht gelungen, in der ersehnten Beschaulichkeit auf Weihnachten und auf das neue Jahr 2025 zuzugehen. Es könnte ja wirklich eine Zeit des Innehaltens, des Lesens und des Geschichtenerzählens sein, so mein Vorhaben. Mir kommt vor, dass „Warten“ ein Fremdwort geworden und als leere Zeit empfunden wird. Noch nie, so meine Vermutung, haben die Christbäume im öffentlichen Raum so früh zu leuchten begonnen.

Und das Übermaß an Lichtern zeigt doch nur, dass wir die Finsternis nicht mehr ertragen. Thomas Bernhard hält dagegen: erst in der Finsternis wird alles deutlich. So kommt mir vor, könnte es auch mit der Sprache sein. Man muss sich die Seiten in den Büchern vollkommen finster vorstellen: Das W o r t leuchtet auf, dadurch bekommt es eine Deutlichkeit, eine Überdeutlichkeit… daher klärt Finsternis die Gedanken. Aber vielleicht wollen wir das gar nicht und würden zu sehr erschrecken. Ebenso liegt eine Vermutung nahe: „In allem ist etwas zu wenig“, sagt die Dichterin Ingeborg Bachmann. Alles hat den Geschmack nach mehr und zugleich ist das Gespür lebendig: „es muss mehr als alles geben“, Produzieren und Freizeit gestalten – das kann es doch nicht gewesen sein.

Meine Gedanken machen jetzt einen Sprung zu meiner Lieblingsdichterin Friederike Mayröcker. Vor einigen Tagen gedachte man ihres hundertsten Geburtstags. Natürlich auch ich. Sie faszinierte bis ins hohe Alter mit ihren Texten und gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen ihrer Generation. Ich betrete das Literaturmuseum der Österr. Nationalbibliothek in der Johannesgasse 6 1010 Wien und werde konfrontiert mit „ich denke in langsamen Blitzen“. Ihre Zettelberge waren legendär, die konkreten Schätze weniger bekannt. Ihr Zetteluniversum.

Lieber Herr Einbrecher, schreibt Sie, bitte zerstören Sie nicht meine Schreib-Werkstatt. Bin Dichterin und habe nur meine eigenen Bücher und NOTIZEN für neue Werke – danke. Friederike Mayröckers Nachricht an potenzielle Eindringlinge zeigt ihre Selbstironie ebenso wie die mit Kreide beschriebene Tafel: „hier ALLES TABU“. In Ihren wunderbaren Gedichten findet man eine brauchbare Anleitung für eine „stille Zeit“, die ja nicht auf Weihnachten beschränkt sein muss. Ich freue mich, dass jetzt die Tage wieder länger werden und das Licht bald wieder mehr von der Sonne und nicht von den Verursachern einer Lichtverschmutzung kommt, die uns die Sterne kaum mehr sehen lässt.

© Hermann Exenberger 2025-01-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend