In der Ausnüchterungszelle

„Sie müssen die Schuhe ausziehen,“ sagt der Polizist zu mir. Ich schaue ihn verwirrt an. „Schnürsenkel,“ sagt er, als würde das alles erklären. Mein fragender Blick veranlasst ihn dann aber doch, es mir zu erklären: „Man kann sich auch mit Schnürsenkeln erdrosseln.“

„Erdrosseln?“ frage ich überrascht. Ich stehe hier schließlich in der Tür für die Ausnüchterungszelle und nicht vor der Psychiatrie. Warum sollte man sich hier erdrosseln und vor allem wie. Ich hatte in der Schule gelernt, dass man sich selbst nicht mit einem Strick zu Tode bringen kann, wenn dieser nirgendwo befestigt ist, denn man würde vorher das Bewusstsein verlieren.

Ich schaue mich in der Zelle um: Ein kleiner, durchgehend gefliester Raum mit einem Abfluss in einer Ecke. Eine Toilette, die gegossen ist und weder Klobrille noch Deckel hat. Mehr finde ich in diesem Raum nicht.

Der Polizist scheint meinen suchenden Blick zu bemerken und deutet in die Ecke, wo die Toilette ist. Ein unscheinbares Rohr liegt dort, das ich gar nicht bemerkt hatte. „Wenn Sie sich auf den Boden legen und ihre Schnürsenkel oder ihren Gürtel nehmen…,“ sagt er und schaut auf meinen Hosenbund. Ich bin froh, dass ich keinen Gürtel trage. Er tut so, als würde er sich etwas um den Hals legen, bevor er fortfährt: „Dann reicht es, wenn der Kopf so liegt.“ Er legt den Kopf leicht auf das Kinn und etwas schräg. In meinem Kopf tauchen Bilder von Leichen auf, die ich in Filmen gesehen habe und frage mich, wie viele Menschen hier wohl versucht haben, sich das Leben zu nehmen.

„Eigentlich müssten wir sie nackt einsperren, denn es hat auch schon einmal jemand mit seiner Unterhose versucht,“ sagt der Polizist und versucht, unbeteiligt zu wirken, doch ich sehe in seinem Blick, dass auch ihn diese Tatsache nicht kalt lässt.

„Einige schlagen auch nur mit dem Kopf gegen die Wand bis sie bluten. Deswegen Kacheln und der Abfluss,“ sagt er. Ich nicke stumm. Ich hatte eher an Erbrochenes und Urin gedacht, doch hier scheint alles möglich zu sein.

„Warum tut man so etwas?“ frage ich.

Der Beamte schüttelt den Kopf und sagt: „Betrunkene denken nicht logisch und wer hier reinkommt, ist nicht nur leicht angetrunken. Soll ich die Tür hinter Ihnen abschließen?“ fragt er, um das Thema zu wechseln, doch ich lehne dankend ab und bin froh, dass der Praktikumstag fast vorüber ist, denn das ist eine Menge Stoff zum Nachdenken.