In der Stadt, die niemals schläft…

Bille

von Bille

Story

Es fiel ihm nicht auf. Zwar waren es nur die Spitzen und er war ein Kerl. Trotzdem. Jede Veränderung will gesehen werden. Vielleicht lag es an uns. Daran, dass unsere Beziehung seit geraumer Zeit kurz davor war zu kippen wie saure Milch.

Vielleicht lag es an: B-E-R-L-I-N. Hier aufzufallen, ist ein schier unmögliches Unterfangen. Die Frau, die heute Morgen meinen Latte aufschäumte, trug einen Badeanzug zu ihrem Nichts von einer Shorts. Piercings, Oben-Ohne-Shows, Body-Paintings – ein durchwachsener Hagel unsere Hauptstadt. Mehr Authentizität gibt es nirgendwo sonst. Andere Städte sind gewollt, bemüht, lechzen nach Aufmerksamkeit. Nicht Berlin. Berlin gibt. Ohne zu zögern. Berlin schläft niemals, ist unersättlich und erbricht sich Tag für Tag über uns mit Möglichkeiten. Manchmal kommt es mir so vor, als stünde ein Kaleidoskop vor meiner Nase, das von dieser Stadt gedreht wird. Ja, seit acht Jahren bin ich ein Teil von dir.

Du heißt jeden willkommen und interessierst dich für keinen.

„Willste noch ´ne Runde drehen?“ Mark guckte mich fragend an. Wir spazierten über den Flohmarkt im Mauerpark. Die Hitze brachte meine Foundation auf höchst uncharmante Art zum Schmelzen.

„Nein, bin bedient“, stieß ich heraus. Stolz hielt ich meine gepunktete Stofftasche hoch. Ein atemberaubendes Poster von Frida Kahlo (nur schlappe 6 Euro!) geriet in meine Fänge. Würde meine Begleitung nicht jedes Mal Instagram öffnen, wenn ich an einem Stand Halt mache, hätte ich mir die Zeit genommen, nach einem passenden Bilderrahmen zu suchen.

Ein Teil von mir ist neidisch auf Berlin. Auf dieses Selbstbewusstsein, das mich in Ehrfurcht versetzt, sobald ich meine Wohnung verlasse und die Füße auf diese Straßen setze, die nicht zu enden scheinen.

Wir schlenderten über die Stargarder Straße und steuerten zu auf eine Eisdiele – nicht von dieser Welt: Hokey Pokey. Himbeersorbet und Zimtzitrone sollten uns den Sonntag versüßen. Mark strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht; er küsste mich. Und ich fühlte nichts als Bedauern. Dass ich ihm meine Nummer gab in der Odessa Bar, obwohl mir seine Art missfiel. Wie er die Kellnerin herschnippte und über Freibäder herzog. Jede Faser in mir schrie: Lass es!

Doch der nächste Wimpernschlag verschluckte drei Jahre und hier standen wir nun und hielten unsere Hockey Pockeys. Vielleicht fing damit alles an. Dass ich andere Entscheidungen für mich treffen ließ. Es lag also nicht an Berlin, es lag an mir.

Ich hielt mein Gesicht in die Sonne, atmete den Moment ein. Dann stieß ich alle Zweifel aus. Das Ende von etwas kann in der richtigen Umgebung der Anfang von etwas Großartigem sein.

© Bille 2022-01-24

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