von Lya Burkhard
Eine Drehung, zwei, drei, vier… Bis ihr schwindelig wird und sie umfällt. Das liebt sie. Und er liebt es, ihr zuzuschauen. Er, ihr Baby-Kater Jimmy. Er, der immer an ihrer Seite ist. Er, ihr einziger Freund. Er, der sie, so gut es geht, vor dem zerfleischenden Gefühl von Einsamkeit bewahrt. Er, der sich Abends zu ihr ins Bett legt. Er, der ihr ab und zu Blumenzwiebeln mit nach Hause bringt, wenn ihm die Maus entwischt ist. Er, der ihr zuschaut, wenn sie sich dreht, wenn sie tanzt und hüpft und die Arme ausbreitet und in ihrer eigenen Welt verschwindet. Eine Welt, in der sie frei ist, lebendig. Eine Welt, die nur ihr gehört, in welche sie entfliehen kann. Eine Welt, in welcher sie sich selbst sein kann. Eine Welt, die jedes Mal anders aussieht – gerade so, wie sie sie braucht.
Sie dreht sich, verwandelt sich in einen kleinen Vogel, der sich vom Wind tragen lässt und in die Höhe fliegt, durch ein bunt angemaltes Tor mit einem Loch, das gerade gross genug ist, damit er durchpasst. Er landet, dreht und dreht und dreht und dreht sich immer weiter, bis er wieder sie ist. Sie rennt los, dem menschenleeren Strand entlang, warmer Wind in ihren Haaren. Barfuss, mit lustigen, weiten Clown-Hosen und einem viel zu gossen, braunen T-Shirt, das halbwegs über ihre Schulter hängt. Sie rennt und dreht sich und tanzt in der frischen Morgensonne, die gerade über den Horizont lugt.
Ihre Schritte verlangsamen sich, ihr Blick ruht auf dem endlosen Wasser. Kleine Wellen glitzern und umspielen ihre Füsse. Sie schliesst die Augen, fühlt den Boden, atmet die frische Luft ein. Musik entsteht in ihr, als wären es Worte der Welt. Dazu Farben und Bilder, klar und rein, alles stimmt überein. Ein unbeschreibliches Zusammenspiel, ein Tanz, lebendig, wandelbar, komisch ernst und melancholisch lustig. Alles in einem, tausend Gedanken und Gefühle und Ideen und Worte und Satzphrasen und Bilder und Formen und Farben.
Erfüllt. Prall gefüllt, und alles will raus. Tausend Arme wachsen ihr, kreieren, und sie dreht sich und tanzt und lässt alles los. Schier unendlich viele kleine Unikate werden fassbar, verteilen sich um sie, verschwinden in der Weite des Wassers, lassen sich von Wind wegtragen, finden ihren ganz eigenen Platz.
Und sie spürt wieder das Wasser an ihren Füssen, und den warmen Wind im Haar.
Hey, was ist denn das? Sie öffnet die Augen und sieht Jimmy. Sie setzt sich auf einen Stein, er springt auf ihre Knie, schmiegt sich an sie. Sie spürt seinen kleinen, warmen Körper – unendlich Dankbar, dass es ihn gibt. Unendlich dankbar für diesen Ort, diesen Moment. Hier und jetzt.
© Lya Burkhard 2023-11-27