In mehreren Welten

rebella-maria-biebel

von rebella-maria-biebel

Story

“Was für ein traumhaft schöner Tag! Ich sitze hier in der Sonne bei einem köstlichen Espresso vor der kleinen Bar am Piazza del Popolo. Dann werde ich zum Markt gehen, gleich in der Nebengasse…”

So schrieb mir heut morgen ein lieber Freund, der grad in Italien eine kleine Auszeit genießt. Und noch während ich seine Worte lese, sitze ich neben ihm in dem kleinen Dörfchen nahe Montepulciano. Die Morgensonne kitzelt meine Nase, sein Kaffee duftet verführerisch. Ich geh in die Bar, die vor ein paar Jahren noch voller Rauchschwaden gewesen wäre, und bestelle einen caffee doppio con latte caldo. Und natürlich zwei dolce. Ich lass ihn ein dolce auswählen und fühl mich so leicht in meinem geliebten Italien, da ist all mein Weh wie weggeblasen. Der Sessel ist so ein Holzleistensessel, ich denk mir noch, dass ich darauf mit meiner wehen Hüfte nicht lang werde sitzen können. Streck meine Füsse aus und genieße das Ortsbild und vor allem diese wunderbare italienische Geräuschkulisse. Eine alte kleine Frau mit einem ihr angepassten kleinen Hund kommt vorbei, der kleine Kerl schnuppert hingebungsvoll an meinen Zehen. Na klar, denk ich, der riecht unsere Amelie, und wenn die jetzt hier wäre, würde sie dann italienisch bellen?

“How lovely”, lächelt Stephen, wir sprechen ja Englisch, und ich sage “I love this italian world”. Dann bummeln wir zum Markt, das Stimmengewirr ist so fröhlich, dass ich nicht aufhören kann zu lächeln. Die Feigen duften. “A buon mercato, Signora!” Ich hab ein altes Geldbörsel mit, da sind noch ein paar 1000 Lire Scheine drin, das waren noch Zeiten. Ich möchte meinem Lieb was Feines mitbringen, Prosciutto Crudo, das mag er. Und für mich Dolcelatte. Immer noch geh ich in der warmen italienischen Sonne durch die Marktgasse eingehüllt in diese schöne Sprache und den intensiven Marktduft…

Amelie stupst mich am Bein und holt mich zurück aus Bella Italia. Statt italienischen Marktrufen höre ich Ö1 Musik und es duftet nicht nach Feigen sondern nach den getrockneten Pilzen am Ofen, und draußen regnet es in Strömen. Alles gut, wie es ist, trotz Regen bin ich hier am schönsten Platz von überhaupt. Ich rutsche nur leicht in andere Welten. Wenn Freunde Urlaub am Meer machen, bitte ich sie, mir ein Video von ihren Füssen im Wasser zu schicken, und wenn ich mir das anschau, dann spür ich das Meer an meinen Zehen, rieche das Meer und schmecke es im Mund. Ich gehe mit all meinen Sinnen fort. Kann völlig eintauchen in andere Welten.

Wenn ich ins Kino geh, passiert oft dasselbe. Am Ende des Films bin ich voll und ganz eine Rolle, die mich berührt hat. Sogar beim Lesen gehts mir oftmals so, dass ich ganz in der Handlung versinke und beim Zurückkommen erst die Realitäten auseinanderklauben muss.

Ich finde, ich bin ein Glückskind mit meinen vielen Welten…

© rebella-maria-biebel 2022-09-16

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