In meinem kleinen Paradies hinter dem Haus

Hermine Pfrogner

von Hermine Pfrogner

Story

ereignen sich manchmal gar wundersame Begegnungen. Wie damals, vor ein paar Jahren, als Theo in mein Leben trat. Ich freute mich schon sehr auf das Osterwochenende im Garten, aber dann verwehte ein heftiger Schneesturm alle meine Träume vom Frühling. Fröstelnd stand ich am offenen Fenster und blickte hinaus in den weißen Spuk.

Da hüpfte ein Vogel auf der Suche nach Futter durch den Schnee und hinterließ mit seinen Füßchen ein wirres Muster in der weißen Decke. Er war völlig zerzaust und ratlos und verzog sich auch bald ins trockene Unterholz.

Als ich ihn dann wiedersah, erkundete er gerade sein neues Jagdrevier. Meine Anwesenheit schien ihn dabei nicht zu stören und er störte mich auch nicht. Also gab ich ihm einen Namen: Theo, das Amselmännchen.

Seit damals begleitet er mich bei allem, was ich tue. Sobald ich im Boden grabe, ist er zur Stelle und weicht nicht von meiner Seite. Er scheint meinen Garten inzwischen mindestens so sehr zu lieben wie ich, denn er sorgt hier Sommer für Sommer gewissenhaft für Nachwuchs. Sein Nest hängt gut geschützt in der großen, stets dunkelgrünen Eibe, die zu jeder Jahreszeit jeglichen Einblick verweigert.

Theo hat es längst aufgegeben, der Sonne und der Wärme hinterherzufliegen – er bleibt bei mir. Futter gibt es auch im Winter genug, und Theo ist mittlerweile so abgehärtet, dass er mit seinem wunderschönen Gesang die ersten Schneeflocken ebenso begrüßt wie die ersten warmen Sonnenstrahlen.

An heißen Tagen betrachtet er die Gartenbrause als seine Erfrischungsdusche und hüpft vergnügt den Tropfen hinterher. Dabei wagt er sich oft erstaunlich nahe an mich heran. Mit Argusaugen verfolgt er mein Tun, zieht fette Würmer aus der Erde oder pickt Käfer auf, die er flugs in sein Nest transportiert.

Liebestechnisch hat es Theo heuer wohl besonders heftig erwischt, denn noch nie zuvor hat er solch einen Eifer an den Tag gelegt, um sein brütendes Weibchen zu verwöhnen.

Das brachte mich unlängst auf die Idee, den beiden einen echten Leckerbissen zukommen zu lassen: Walnusskerne, die ich im Vorratsschrank vergessen hatte und die nun – zumindest für Menschen – nicht mehr genießbar waren.

Ich legte also die Kerne auf das Fensterbrett meines Arbeitszimmers, wo Theo, neugierig, wie er ist, regelmäßig auftaucht, um mir beim Schreiben zuzusehen. Es dauerte auch nicht lange und Theo landete mit einem scharrenden Geräusch auf dem glatten Kupferblech.

Er beäugte kritisch das fette Angebot, pickte den größten Kern auf und verschwand damit in Richtung Nest. Dann kam er zurück, verspeiste genüsslich selbst einen Kern und ließ die anderen liegen. Es dauerte einige Tage, bis er das Festmahl redlich mit seinem Weibchen geteilt hatte.

Unlängst las ich, dass auf Helgoland eine Amsel unglaubliche 22 Jahre alt geworden sei. Das stimmt mich froh, sehr froh. Es winkt uns also eine lange gemeinsame Zukunft, Theo und mir, in meinem kleinen Paradies hinter dem Haus.

© Hermine Pfrogner 2021-04-12

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